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Sehr geehrte Frau Barbara Rett!

Als Sie letzten Sonntag, den 6. September, das Konzert von Rudolf Buchbinder mit den Wiener Philharmonikern und für den darauffolgenden Montag die Eröffnungspremiere der Wiener Staatsoper unter der neuen Intendanz von Bogdan Roščić im ORF ankündigten, gelang es Ihnen wieder einmal, Ihr kapitales Missverständnis, was Hochkultur ist und zu sein hat, in zwei kleinen Satzfragmenten zu konzentrieren. Das erste lautete: „Rudolf Buchbinder gibt sich die Ehre,….“. Und das zweite: „Madama Butterfly…“.

Nun können Sie vielleicht mit Recht einwenden, es sei kleinlich, auf derlei sprachlichen Spitzfindigkeiten herumzureiten. Da Ihnen solche jedoch ununterbrochen unterlaufen, ja, Ihre Selbstpräsentation inklusive Gewandung, Schmuck, Frisur und Makeup auf eine überdeutliche Distanzierung vom gemeinen Pöbel der Ignoranten und Dummköpfe hinausläuft, erscheint eine diesbezügliche Feindiagnostik durchaus berechtigt. Dies vor allem vor dem Hintergrund des derzeit herzerweichenden Jammers vieler österreichischer Kulturschaffender, die sich zu einem Schweigemarsch auf der Ringstraße versammelten, um den Staat aufzufordern, sie, wenn er sich als Kulturnation nicht selbst eliminieren wolle, während der Corona-Krise durch Übernahme der Lebenshaltungskosten vor dem Hungertod zu bewahren. Eine umstandslose und freiwillige Umschulung, die für alle anderen Berufsgruppen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, zumindest eine Teillösung des Problems darstellen würde, etwa für Pflegedienste, für die eigens Flugzeuge aus Rumänien und Bulgarien gechartert werden, um unsere Alten nicht verwahrlosen lassen zu müssen, wird offenbar als eine solche Provokation empfunden, dass darüber nicht einmal nachgedacht wird. Was unmittelbar mit Ihrem ersten Satzfragment „Rudolf Buchbinder gibt sich die Ehre …“ zusammenhängt.

Denn selbstverständlich ist es nicht Rudolf Buchbinder, dessen Verdienste als Pianist unbestritten sind, der sich hier selbst die Ehre gibt. Es sind vielmehr die österreichischen Steuerzahler und es sind vor allem ehrgeizige niederösterreichische Politiker, die ihm die Ehre geben, weil sie in ihre Provinz unbedingt das Flair der großen weiten Welt der Hochkultur implementieren möchten. Und die sich offenbar bei der Ernennung des ORF-Generaldirektors als Gegenleistung für seine Wahl Konzertübertragungen aus Grafenegg mit zuweilen randständigem Niveau versprechen ließen. So läuft das eben in Österreich! Bei Pianisten wie Buchbinder, wenn sie Intendanten werden, oder bei Ihnen, Frau Rett, die Sie mit 67 immer noch im ORF arbeiten dürfen, während andere und nicht schlechtere schon mit 60 in die Pension hinaus komplimentiert wurden. Fast niemand gibt sich hierzulande selbst die Ehre. Die allermeisten müssen sich glücklich schätzen, gut Freund mit einem unserer Herrscher zu sein, die zur Aufmöbelung ihrer kleinbürgerlichen Eitelkeit die Kunst benötigen und sie mit dem Geld ihrer Untertanen finanzieren.

Künstlerinnen und Künstler können sich also noch so lange selbst die Ehre geben – wenn sie nicht zumindest im intimsten und hintersten Kämmerchen ihrer Selbsteinschätzung in Erinnerung bewahren, dass sie, wie dereinst zu Josef Haydns Zeiten, lediglich zum Küchenpersonal gehören, schaden sie sich nicht nur im Hinblick auf ihre ökonomische Lebensplanung, sondern vor allem im Hinblick auf ihre Kreativität. Denn es ist nicht Aufgabe des gemeinen Mannes und der gemeinen Frau, zu ihnen aufzublicken, auch wenn sie noch so fest daran glauben, etwas Höheres zu repräsentieren. Es ist Aufgabe der Künstler, mit jedem neuen Werk und mit jeder neuen Performance sich selbst und dem Publikum den Nachweis zu liefern, dass es sinnvoll ist, ausgerechnet ihnen und nicht irgendetwas anderem in der kurz bemessenen Lebenszeit Aufmerksamkeit zu widmen. Wo dieser Anspruch des Unbedingten verloren geht, verkommt die Kunst zur Freizeitgestaltung und setzt sich damit einer Konkurrenz aus, gegen die sie von Fußball bis zu Fitness keine Chance hat.

Dass Sie dies, Frau Rett, genau umgekehrt sehen, macht besonders für Leute, die von der Notwendigkeit der Kunst überzeugt sind, ihre Moderationen und Interviews so grotesk und unerträglich. Womit wir bei der Analyse des zweiten Satzfragments angelangt wären. Wenn nämlich von 8,9 Millionen Österreichern immerhin eine Million schon etwas von der Oper „Butterfly“ von Giacomo Puccini gehört haben sollten, was optimistischer Weise anzunehmen ist, so können Sie davon ausgehen, dass 99 Prozent davon den Titel des Werkes mit „Madame Butterfly“ und nicht mit „Madama Butterfly“ aussprechen, wobei letzteres zweifelsfrei korrekt ist. Der wissende Augenaufschlag der Eingeweihten jedoch, mit dem Sie uns diese Korrektheit unter die Nase gerieben haben, hat wieder einmal aufgezeigt, wie sehr Sie sich als das platonische Ideal des vollendeten Menschen in seiner Manifestation als Bildungsbürgerin selbst die Ehre zu geben gewohnt sind.

Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie zu diesem Zweck die Kunst, über die Sie sich auslassen, und die Künstler, die Sie zu Interviews einladen, lediglich für ihre eigene Eitelkeit missbrauchen? Ist Ihnen bewusst, dass Sie, wenn Sie die Hochkultur zum Distinktionsmerkmal für die Schönen und Reichen, als deren Repräsentantin Sie sich penetrant ausgeben, herabwürdigen, genau das, was Sie als Angestellte einer staatlichen Rundfunkanstalt zu erreichen hätten, nämlich für die großartigen Leistungen der Hochkultur zu werben, ins Gegenteil verkehren? Sind Sie sich klar darüber, dass jeder einigermaßen normal gebliebene Erdenbürger, der Sie dabei beobachtet, wie Sie innerhalb eines Sekundenbruchteils bei italienischen Worten in den italienischen, bei französischen in den französischen und bei englischen in den englischen Sprachduktus wechseln, vor lauter Hass auf seine eigene Minderwertigkeit die Flucht ergreifen muss? Und sind Sie sich bewusst, dass jemand, der Ihnen dabei zuschaut, wie Sie all diese Damen und Herren, die zweifelsfrei perfekt ein paar Arien singen können, in einer Weise anhimmeln, als sei die sogenannte Hochkultur das Einzige, das einen Menschen zu einem Menschen macht, nur noch von Brechreiz geplagt werden kann, wenn er sich Ihr distinguiertes Getue und Ihr gebildetes Geplapper anhören muss?

Im Grunde sind Sie eine tragische Figur. Denn wahrscheinlich lieben Sie die Oper, von der Sie die Leute vertreiben, und wären zutiefst unglücklich, wenn Sie in der undurchdringlichen Blase der Kulturberichterstattung die Folgen ihres Wirkens mitbekommen würden. Trotz solch mildernder Umstände, die Ihnen gern zugestanden werden sollen, ist jedoch der Schaden, den Sie anrichten, schon lange nicht mehr hinzunehmen.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
Alois Schöpf

 


Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ilse Klemen

    Ihre bösartigen Neid- und Hasstiraden vom 20. September 2020 sind weder literarisch noch diskussionswürdig, sondern einfach nur erbärmlich!!

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