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Alois Schöpf
Zusammenschluss der Gletscherskigebiete Pitztal - Ötztal
Tourismuspolitisches Multiorganversagen 2
Essay

Die geradezu avantgardistische Gesetzgebung Tirols in Sachen Tourismus, die noch vor 1900 in der Kaiserzeit erfolgte und Jahrzehnte später dem Land eine weltweit führende Rolle vor allem im Wintertourismus verschaffte, wurde bereits betont. Danach wurde der damals noch als „Fremdenverkehr“ bezeichnete Wirtschaftszweig als eine Kollektivleistung der ganzen Gesellschaft definiert und neben Wirten, Fremdenführern und Hoteliers all jene Berufe, die im weitesten Sinn vom Tourismus profitierten, in die Schar der Beitragszahler miteinbezogen. Und das ist bis heute so geblieben! Dieses kollektive Bekenntnis zum Tourismus ist derzeit nicht nur bedroht, sondern auch aufgrund des Fehlens einer vorausschauenden Tourismuspolitik und mangelnder Innenkommunikation mehr oder weniger zerstört.

Gleichsam statistischer Ausdruck dieser Selbstzerstörung ist nicht nur die mit 53 Prozent abgelehnte Bewerbung Tirols für neuerliche Olympische Spiele, sondern aus jüngster Zeit auch eine Petition, die mehr oder weniger im Alleingang vom pensionierten Lehrer Gerd Estermann ins Leben gerufen wurde und es binnen kürzester Zeit auf sage und schreibe ca. 170.000 Unterschriften brachte. Auf der Suche nach einer zumindest aus ihrer Sicht unabdingbaren Innovation ihrer Angebote kamen nämlich die Pitztaler Gletscherbahnen auf der einen und die Ötztaler Gletscherbahnen auf der anderen Seite überein, durch einen Zusammenschluss und unter Einbeziehung des Mittelbergferner, des Hangender Ferner, des Karlesferner und des Linken Fernerkogel mit dem Bau von drei Seilbahnen und drei Seilbahnzentren mit einer Investitionssumme von 131 Mill. € Europas größtes Skigebiet zu schaffen.

Als Argumente, weshalb das bereits der Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegende Projekt sofort gestoppt werden müsse, wurde von den Unterstützern der Petition vor allem vorgebracht, dass mit dem Bau von 80 m hohen Seilbahnstützen, mehreren Seilbahnstationen und einem Speicherbecken der Totalverlust einer naturnahen hochalpinen Landschaft verbunden sei. Ebenso wurde davon gesprochen, dass Fauna und Flora des zwischen 2500 und 3200 m hoch gelegenen alpinen Raums durch das neue Skigebiet massiv beeinträchtigt werde und das Gebiet vor allem rund um die Braunschweiger Hütte als Tourengebiet für Individualtouristen an Wert verliere. Hervorgehoben wurde auch, dass durch den zu erwartenden Klimawandel das Projekt aufgrund des zu erwartenden Abschmelzens der Gletscher ohnehin auf fragwürdigen Voraussetzungen aufbaue und ein international beachtetes Skigebiet wie das geplante die Verkehrsbelastung vor allem an Wochenenden sowohl im Pitztal als auch im Ötztal vor allem für die Einheimischen unverantwortlich ansteigen lasse. Zuletzt wirke sich das Projekt naturgemäß negativ auf die Attraktivität der sommertouristischen Nutzung aus, da durch die zu erwartende Naturzerstörung die Schönheit von beliebten Rund- und Fernwanderwegen durch technische Überbauung an Wert verliere.

Zum endgültigen Erfolg am Markt der medialen Aufmerksamkeit verhalf der Petition „Nein zur Gletscherverbauung Pitztal-Ötztal!“ vor allem die Schreckensmeldung, wonach für den Bau und die Fundamentierung einer Gipfelstation ein ganzer Berggrat im Ausmaß von 40 Höhenmetern weggesprengt werden müsse, was das geradezu magische Bild einer von Geldgier getriebenen Zerstörungswut heimischer Liftkaiser ermöglichte. Die Tatsache, dass solche und ähnliche Maßnahmen bei vielen hochalpinen Baulichkeiten aufgrund der schwierigen statischen Verhältnisse durchaus üblich sind, fand aufgrund der unvergleichlichen medialen Chance, all jenen knallige Schaubilder zu liefern, die ihre umweltbewegte Dauerempörung nicht durch Realitätschecks zu hinterfragen gewohnt sind, keinen Widerhall. Hinzu kam als Verbündeter der durch marktverzerrende Versicherungs- und Rabattbonifikationen inzwischen zur populistischen Großmacht aufgestiegene Alpenverein, dessen Anliegen es satzungsgemäß zwar sein müsste, dem gemeinen Mann und der gemeinen Frau vor allem aus nichtalpinen Gebieten die Schönheit der Alpen zu erschließen, der sich jedoch seit seiner Gründung vor allem dadurch ausgezeichnet hat, auf die jeweiligen Mehrheiten seiner Vereinsmitglieder Rücksicht zu nehmen und sich nach Bedarf als deutschnational, antisemitisch, nationalsozialistisch und heute eben als grün zu gerieren, den defizitären sanften Tourismus zu lobpreisen, den Massentourismus zu verdammen und von einem Individualtourismus für gebildete Post-68-er-Hedonisten zu träumen.

Dabei geht es, wie schon festgestellt, an dieser Stelle nicht darum, die Stichhaltigkeit der vom pensionierten Lehrer Estermann und dem Alpenverein vorgebrachten Argumente zu überprüfen oder sie gar zu widerlegen. Es geht vielmehr darum, darauf hinzuweisen, dass die heimischen Tourismuspolitiker und Touristiker mit nicht gelindem Entsetzen feststellen mussten, dass der geplante Zusammenschluss der Gletschergebiete Pitztal und Ötztal binnen kürzester Zeit von 170.000 Bürgerinnen und Bürgern beeinsprucht wurde. Dass sich also Landsleute und um das weitere Wohl Tirols Besorgte auch aus den umliegenden Ländern für den Schutz eines Gebietes vor seiner finalen Zerstörung einsetzten, von dem garantiert 150.000 nicht einmal genau wussten oder mit dem Finger auf der Landkarte zeigen konnten, wo sich das Gebiet befindet und wo die geplanten Seilbahnstützen und Stationen positioniert sein sollten.

Für sie alle war die Unterzeichnung der Petition nicht so sehr die Verhinderung eines konkreten Projektes, dies sicherlich auch gleichsam als Nebeneffekt, sondern vor allem ein Protest gegen einen Wirtschaftszweig, dem schon seit längerer Zeit der Vorwurf gemacht wird, zugunsten weniger, die angeblich immer reicher werden, schrumpfende Naturreservate aus kommerzieller Gier zu zerstören, die einheimische Bevölkerung mit immer noch mehr Umweltverschmutzung und Verkehr zu belasten, das Land mit Lärm und Abgasen zu überziehen und es seiner letzten Ruheräume zu berauben. Ganz abgesehen davon, dass neben einer längst festzustellenden Übererschließung und Übernutzung das Argument von Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Prosperität durch riesige Kontingente jährlich importierter ausländischer Arbeitskräfte längst entfallen sei.

Was hat ein Land, dessen Erfolg auf der Definition des Tourismus als kollektiver gesellschaftlicher Leistung aufbaut, diesem Frontalangriff auf seinen allerliebsten Wirtschaftszweig entgegengesetzt und entgegen zu setzen? In geradezu beschämender Art und Weise wurde durch die Gutbeterei von Politikern, die sich auf ihren Anbiederungstouren gern am eigenen Geschwafel berauschen, und durch die Besserwisserei tüchtiger Geschäftsleute, die meinen, sie seien schon Philosophen, weil sie ein Schnitzel herausbacken können, das Image einer ganzen Branche an die Wand gefahren. Man kann eben, wie es vor Jahrzehnten noch ein Andreas Braun begriffen hat, ein Bekenntnis der Bevölkerung zum Tourismus nicht dadurch erzwingen, dass man sie mit den immer gleichen und zunehmend durch Abnützung dummen Werbebotschaften von über die Bergspitzen fliegenden Adlern und der penetranten Wiederholung des Wortes „Tirol“ zuschüttet. Man kann eine solche Gesinnung nur über Jahre hinweg durch ehrliche Argumentation, ehrliche Kooperationen und das Suchen ehrlicher Lösungen aufbauen, indem man mit den Wissenschaften, mit der Universität, mit den Intellektuellen des Landes, mit seinen Künstlern und Nachdenkern für die nicht in den Tourismus involvierte, jedoch von ihm betroffene Bevölkerung Lösungen des gedeihlichen Zusammenlebens sucht. Mit all jenen also, die der besserwisserische Wirt eines typischen Tiroler Wirts-Hauses am nächtlichen Stammtisch als den zu Unrecht vom Staat alimentierten, völlig unnötigen Schwätz-Dekor seines aus Mühen und Fleiß bestehenden Paralleluniversums einzustufen pflegt.

Wo sind die Leute, die imstande sind, der Bevölkerung überzeugend zu erklären, dass es schließlich für 760.000 Tiroler irgendeine Wirtschaft braucht, von deren Ertrag sie leben können? Und dass diese Wirtschaft wohl kaum die Landwirtschaft sein wird, jedoch durchaus die Industrie sein könnte, sofern man bereit ist, statt Hotels und Liftstationen gewisse Täler überhaupt zu entsiedeln und andere mit Fabrikshallen vollzupflastern. Wer ruft den Damen und Herren Tirolern ins Gedächtnis zurück, welch geniale Leistung ihre Eltern und Großeltern vollbrachten, als sie aus den von den Bauern gepflegten Almen und Wäldern, vor allem jedoch aus den Geröllhalden des Hochgebirges ein Millionengeschäft machten, eine Infrastruktur, die auch von all jenen, welche sie am heftigsten kritisieren, mit Freude genutzt wird. Wer erklärt uns, dass es auf der ganzen Welt schöne, ja noch schönere Gebiete als in Tirol gibt, dass also nicht die Natur das Entscheidende für den erfolgreichen Tourismus ist, sondern die angeblich so böse Infrastruktur, welche diese Naturschönheiten erst sicher und komfortabel erschließt. Und dass es ausgerechnet der Massentourismus ist, der bei einer Nutzung von 4 % der Gebirgsflächen durch die Konzentration des Geschäftes auf einen klar abgegrenzten Rahmen den Rest des Landes davor schützt, von den Fäkalien jener hochmögenden Individualtouristen überschüttet zu werden, die sich, aus ihren fernen urbanen Zentren anreisend, in einem Reich der letzten edlen Wilden von ihren Zivilisationsschäden zu erholen versuchen.

In welchem Land leben wir eigentlich, wenn einem Landeshauptmann-Stellvertreter bei der Begegnung mit einer fanatischen Umweltschützerin lediglich ein dialektales Schimpfwort einfällt, mit dem er sich, auch wenn er, rural gedacht, damit eine durchaus zutreffende Beschreibung der Person abgeliefert haben sollte, zum Spottobjekt nicht nur aller Umweltbewegten, sondern auch noch aller Me-too-Gläubigen und Frauenversteher macht. Weshalb sind er und seine Kollegen nicht in der Lage, den diversen NGOs, denen im Lande selbst die demokratische Legitimation fehlt, aber auch privaten Umweltbesorgten, die sich ihre Pension moralisch vergolden, mit scharfen und stichhaltigen Argumenten, wie es in einer Demokratie üblich sein sollte, zu begegnen, um einerseits aus der Kritik zu lernen, wie man es besser machen könnte, sich andererseits jedoch all jene Errungenschaften nicht madig machen zu lassen, auf die der Tourismus berechtigterweise stolz ist.

Jeder Pharmakonzern und jedes Technologieunternehmen investiert einen gewichtigen Teil seines Umsatzes in die Forschung. Wo ist die Forschung eines Tourismus, der sich als Gesamtleistung eines ganzen Volkes definiert? Man meinte wohl seit dem Abgang Andreas Brauns, man könne sich derlei Bemühungen ersparen. Entsprechend ist auch das Desaster komplett, eine wohlwollende Tourismus-Gesinnung der Bevölkerung nicht mehr vorhanden und das Bild Tirols nach außen von der Katastrophe in Ischgl bis hin zu unseren Fernsehstars Franzl Posch, Hansi Hinterseer, DJ Ötzi und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser in erster Linie peinlich.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Andreas Töchterle

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    ich danke Ihnen für die Zusendung der Verknüpfungen zu den Texten, denen ich sehr viel abgewinnen kann.
    Abseits der tourismuspolitischen Diskussion, welche diese natürlich in erster Linie fordern, möchte ich Sie auf zwei geologische Aspekte hinweisen, die Sie im zweiten Artikel ansprechen.
    Der erste Aspekt ist für ihre Argumentation unerheblich, der zweite ist jedoch relevant in Bezug auf ihren Ausblick im letzten Absatz, quasi Ihre Prachenskysche oder besser Aloyssche Vision.
    – Das Bergsturzereignis im Obernbergtal hat nach dem letzten Hochglazial und auch nach dem Rückzug der eiszeitlichen Gletscher aus dem Sturzgebiet stattgefunden. Neue geochronologische Daten deuten auf ein Ereignis vor rund 8600 Jahren hin.
    – Der Obernberger See lässt sich nicht mit dem Modell einer mehr oder weniger undurchlässigen Wanne erklären, gespeist aus oberflächlichen Zuflüssen und entwässert durch einen oder mehrere lokalisierbare, unterirdische Abflüsse. So liegt der See in grobblockigem Bergsturzmaterial, das sich nicht gut als Wasserstauer eignet. Dieses und weitere Argumente zeigen, dass es sich bei dem See / den Seen um den an der Oberfläche freiliegenden Grundwasserspiegel im Bergsturzkörper handelt. Es gibt also nicht einzelne unterirdische Abflüsse, die verschlossen werden könnten, sondern einen zumindest über weite Bereiche durchlässigen Untergrund, der Zu- und Abfluss gleichermaßen repräsentiert.

    Aus rein technischer Sicht wäre es evt. möglich, den Grundwasserkörper bei Niedrigwasser zu fluten, sodass der Seespiegel hoch bleibt, wobei mir die Wasserbilanzen nicht bekannt sind und ich die Menge des dafür notwendigen, zusätzlichen Wassers nicht abschätzen kann.
    Sie fragen aber auch, ob eine derartige Maßnahme sinnvoll wäre. Meine Antwort darauf ist ein eindeutiges Nein!
    Die Zahl der Argumente für ein Nein ist groß und ich möchte nur einige davon hier anführen: Der Eingriff wäre massiv – für den Bereich, wo Wasser zugeführt wird sowie; für den Bereich, wo das Wasser entnommen wird, ebenfalls; für den letzteren insbesondere auch deshalb, weil das Wasser ja zur Niedrigwasserzeit entzogen werden müsste. Damit verbunden wären auch große Risiken für diese Bereiche. Zum Beispiel in Form von zusätzlicher Durchfeuchtung und Rutschungen auf der eine Seite und von Trockenheit und Grundwasserspiegelabsenkungen auf der anderen Seite.
    Auch der bautechnische Aufwand und die Kosten wären enorm.
    Und dann die Frage: Wozu? Den Wert von Naturraum nur nach unseren stark von der Romantik beeinflussten Schönheitsidealen zu bemessen käme einer massiv eingeschränkten Sicht auf die Dinge gleich.

  2. Franz Mathis

    Lieber Alois!

    Obwohl ich, wie Du weißt, als Wirtschaftshistoriker sehr wohl um die Verdienste des Tourismus für den derzeitigen Wohlstand der Tiroler Bevölkerung weiß, hätte ich beim geplanten Zusammenschluss von Schigebieten zwar weniger umweltbedingte, sehr wohl jedoch einige wirtschaftliche Bedenken. Ich bin, wie schon beim letztlich aufgelassenen Zusammenschluss der Schlick mit der Axamer Lizum, nicht so recht überzeugt, dass diese doch sehr teuren Investitionen so viel mehr Gäste in die betreffenden Regionen bringen, dass sie sich lohnen. Und wenn sie tatsächlich mehr Gäste anlocken sollten, dann – wegen der langfristig stagnierenden Zahl von Schifahrern – wohl hauptsächlich auf Kosten anderer Schigebiete, also als Folge eines Verdrängungswettbewerbes, der zwar einzelnen zu mehr Umsatz verhilft, aber kaum im Sinne eines Benefits für breitere Kreise der Tiroler Bevölkerung sein kann. Mit anderen Worten, für die bestehende und in Zukunft – wenn überhaupt – nur leicht wachsende Nachfrage nach attraktiven Schigebieten, scheinen mir die bereit bestehenden Angebote mehr als ausreichend zu sein.

  3. HELMUT LEISZ

    AU WEH – des isch ganz nett hart!
    Wirklich nur 4% – des isch wenig!
    Jedenfalls isch´s amüsant z´les´n … Danke!
    Liabe Griass – Helmut Leisz

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