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Alois Schöpf
Kaiser Joseph II versucht
Helmuth Schönauer zum Hofbibliothekar zu ernennen.

Die Hofburg in Wien.
Im Arbeitszimmer von Kaiser Joseph II.
Der Kabinettschef betritt den Raum.

Kabinettschef:
Majestät, draußen ist ein Schönauer?
Joseph II:
Schönauer?
Kabinettschef:
Den Sie zum Hofbibliothekar ernennen wollen.
Erlauben, an meine Bedenken zu erinnern.
Joseph II:
Wo ist das Dekret?
Kabinettschef: (auf den Schreibtisch verweisend)
Nordnordost vor ihnen.
Joseph II:
Danke, ich sehe.
Sie können gehen.
Bringen Sie mir den Schönauer.

Der Kabinettschef verbeugt sich und verlässt rückwärtsgehend das Arbeitszimmer.
Wenig später geht die Tür wieder auf und ein kleiner, rundlicher Mann mit Brille und wachem Gesichtsausdruck tritt zögerlich ein.

Joseph II:
Treten Sie näher!
Sie sind der Schönauer aus Innsbruck?
Schönauer:
Gehorsamst Majestät!
Joseph II:
Steh er bequem.
Sie haben also Ihr Leben dafür geopfert, alles zu lesen, was die Dichter die letzten 35 Jahre in meinem Reich geschrieben haben?
Schönauer:
So ist es. Aber nicht ganz freiwillig.
Joseph II:
Wie das?
Schönauer:
Erlauben, dass ich noch unter ihrer geliebten Frau Mutter, der Kaiserin, meine Bedenken vorbrachte, dem gemeinen Volk das Lesen und das Schreiben beizubringen.
Joseph II:
Sie waren gegen eine Reform, für die uns alle human denkenden Menschen bewundern?
Schönauer:
Majestät, ich bin es noch immer, mit Verlaub. Dagegen mein ich.
Joseph II:
Wie das?
Schönauer:
Wenn das gemeine Volk nicht lesen und schreiben gelernt hätte, hätte ich mein Leben nicht dafür hergeben müssen, zu lesen, was das gemeine Volk geschrieben hat.
Joseph II:
???????
Schönauer:
Ich bekam in Folge, statt dass man auf meine Bedenken eingegangen wäre, von Ihrer geliebten Frau Mutter…
Joseph II:
Lassen Sie das mit der geliebten Frau Mutter…
Schönauer:
Ich bekam von Ihrer geliebten, pardon, von Ihrer Mutter den Auftrag als Bibliothekar zuerst dienstzugeordnet der Büchereistelle des Reiches in der Hofburg zu Innsbruck, in den Folgejahren als Bibliothekar an der Universität dortselbst, alles zu überprüfen, was geschrieben würde und umgehend Meldung zu erstatten, wenn eintrete, was ich befürchtet hatte, dass nämlich die Fähigkeit des Volkes zu schreiben, zu unsinnigen und unsittlichen oder, wie man heute im Hinblick auf das unglückliche Frankreich sagen muss, revolutionären Gedanken gegen Gott und das Haus Habsburg anstifte.
Joseph II:
Es ist mir keine diesbezügliche Meldung von Ihrer Seite bekannt.
Schönauer:
Sie ist auch nicht erfolgt.
Joseph II:
Sie hatten also niemals Gelegenheit, unbotmäßige Gedanken gegen Gott oder das Haus Habsburg zu Gesicht zu bekommen?
Schönauer:
Majestät, ein offenes Wort?
Joseph II:
Immer!
Schönauer:
Als Untertan Ihrer Majestät schätze ich mich glücklich, niemals auf derartiges Gedankengut gestoßen zu sein.
Joseph II:
???????
Schönauer:
Ich hatte in meinem jugendlichen Leichtsinn befürchtet, die Menschen würden, wenn sie schon einmal schreiben könnten, den Weg zur Freiheit der Gedanken, zur Befreiung des Menschen aus den Fesseln der Natur, der Konventionen, des Aberglaubens und, mit Verlaub, auch des Staates beschreiten. In Wirklichkeit, Majestät, hat die Fähigkeit, „Ich“ hinzuschreiben, sie lediglich dazu verleitet, ihr Mittelmaß aufzublasen und Klage zu führen, wie ungerecht die Welt mit ihnen verfahren sei. Wie grausam ihnen das Schicksal mitgespielt habe! Wie wenig sie von ihren Vätern und Müttern, Gattinnen und Gatten, Kindern und Kindeskindern geliebt worden seien! Und dies, Majestät, ich muss und will Ihnen nicht schmeicheln, in einer Zeit, in der es den Menschen in ihrem bisher naturgemäß grausamen Schicksal noch nie so gut ergangen ist wie unter Ihrer Regierung beziehungsweise der Regierung Ihrer geliebten, äh… Ihrer Mutter.
Joseph II:
Aber Schönauer, davon steht in Ihren Berichten rein gar nichts. Dort loben Sie doch alles über den grünen Klee, sodass ich mir schon die Frage stellte, ob ich meine Liebe zur Oper nicht doch noch zugunsten der Liebe zur Dichtkunst zurückstellen sollte, denn Sie scheinen bei ihrer Lektüre entschieden weniger gelitten zu haben als ich unter diesem Mozart.
Schönauer:
Es war nie meine Aufgabe, Urteile zu fällen. Ich wollte mich nie über jemanden erheben. Es war lediglich meine Aufgabe, alle Werke so zu beschreiben, dass ein ranghöherer Leser weiß, was ihn erwartet und ob in Folge eine Lektüre notwendig ist oder aus Gründen der Lebenszeitersparnis entfallen kann.
Joseph II:
Da haben sie Recht. Ihre Berichte, so amüsant sie auch geschrieben sind, animieren mitnichten, eines der unendlich vielen Bücher zu lesen, die sie besprochen haben. Wobei mir, Schönauer, Sie werden vielleicht erstaunt sein, wie genau ich Ihr großartiges achtbändiges Tausende von Seiten umfassendes Werk studiert habe, schon aufgefallen ist, wie sehr Sie zuweilen in Rage geraten, vor allem, wie ich meine, wenn Sie zuvor Dichter aus anderen Ländern gelesen haben.
Schönauer:
Sagen wir, Majestät, nach der Bekanntschaft mit großartigen Dichtern, die meist aus anderen Ländern stammen, fällt die Rückkehr zur Normalität des Habsburgerreiches nicht leicht?
Joseph II:
Sie scheinen von der Qualität unserer heimischen Dichter also nicht überzeugt zu sein?
Schönauer:
Das Problem, Majestät, ist, dass fast alles, was in unseren Landen geschrieben wird, von Ihnen und Ihrer Regierung allergnädigst und allergroßzügigst gefördert wird, sodass die Talentlosigkeit das Talent um das Vielfache übersteigt und das Geniale, das sonst allein auf weiter Flur stünde und sich von alleine durchsetzen würde, verschüttet und verdrängt wird von den Umtriebigen, den Geschickten, den Netten, den Beharrlichen und Freundlichen, den Lehrern vor allem, die es gut meinen, sodass sich zuletzt derjenige, der wirklich etwas zu sagen hätte und auch sagen könnte, entmutigt einer anderen Profession zuwendet, denn die wirklich Talentierten, Majestät, die müssen nicht erst Dichter werden, um zu Ansehen und Vermögen zu kommen!
Joseph II:
Das ist schlimm, was Sie da sagen, Schönauer. Ich wollte die Künste fördern und Sie behaupten, ich hätte sie ruiniert.
Schönauer:
Ein offenes Wort, Majestät?
Joseph II:
Immer Schönauer!
Schönauer:
Dadurch, dass Sie alles gefördert haben, haben Sie auf jeden Fall Aufruhr verhindert, wie wir ihn aus dem unglücklichen Frankreich zu Ohren bekommen. Das Kostbare und Originelle geht im Mittelmaß unter und kann keinen Schaden mehr anrichten. Revolution macht aber nur das Originelle! Die beste Methode, für Ruhe im Land zu sorgen, ist die, entweder gar nichts drucken zu lassen, weil die Leute nicht lesen und nicht schreiben können, oder so viel, dass niemand mehr mit dem Lesen nachkommt. Ich bin der einzige, der es geschafft hat, nachzukommen, weil ich dafür mein Leben geopfert habe.
Joseph II:
Darauf können Sie stolz sein. Sie sind wahrhaftig ein guter Diener unseres Hauses und des Staates. Wenn da nicht das Eine wäre: Sie schreiben doch selbst? Ich kann mir schwer vorstellen, dass Sie all das, was Sie über Ihre Kollegen sagen, zum Beispiel, dass man sie erst gar nicht lesen müsse, auch auf sich selbst beziehen.
Schönauer:
Mein Schreiben ist rein privater Natur. Ich rechne von vornherein nicht damit, jemals zu Lebzeiten mit meinem Schaffen wahrgenommen zu werden.
Joseph II:
Werden Sie aber, Schönauer. Es wurden mir seitens der Behörde Sachen von Ihnen zugetragen! Das ist ja schrecklich, was Sie da schreiben, nur immer – verzeihen Sie mir die unaussprechlichen Worte – von scheißen, furzen und ficken, wie dieser Mozart, der es auch nicht lassen kann, mich anzustrengen mit seinen vielen Noten und seinen abstrusen Ideen. Warum schreiben Sie denn als honetter Mensch und loyaler Beamter meines Hauses solch schreckliches Zeug?
Schönauer: (flüsternd)
Weil ich die von Gott geschenkte Gnade habe, Majestät, die Welt anders zu sehen als alle anderen. Erst das Lesen von so unendlich vielen Werken hat mich erkennen lassen, dass ich meine Art, die Existenz wahrzunehmen, mit niemand anderem teile. Wie bin ich einsam! Wie bin ich, seit Jahrzehnten, auf der Suche nach jemandem, für den, mit Verlaub, das menschliche Leben wie für mich nur ein Zusammenströmen und die Vermischung zweifelhafter Säfte und Ausscheidungen ist. Doch ich habe niemanden gefunden, der so wäre wie ich. Und weil ich niemanden gefunden habe, schreibe ich. Weil es mein schicksalsbestimmter Auftrag ist, diese Sicht der Dinge nicht der Welt vorzuenthalten. Dabei erfüllt mich eine gewisse Scham, das kann ich Sie versichern, so zu schreiben, aber auch Stolz. Ich entledige mich mit meinen Büchern einer Pflicht.
Joseph II:
Sie werden verstehen Schönauer, dass ich das als Kaiser nicht goutieren kann. Das ist Aufruhr im Stillen! So sehr ich es gleichzeitig bewundere, Sie halten mich ja nicht für blöd?
Schönauer:
Nein! Nicht für blöd. Aus der Sicht des Enddarms, und das ist nun einmal meine Sicht, erhebt man sich nie über andere.
Joseph II: (nachdenklich)
Nicht nur aus dieser Sicht. Sie haben schon Recht. Das Leben kann plötzlich so bitter sein, der ganze Glanz ist plötzlich nichts mehr, wenn einem der Atem kurz wird oder einem das Liebste im Leben abhandenkommt, wie es mir passiert ist. Da ist dann nichts mehr übrig von Kaiser und Majestät. Natürlich haben Sie Recht. Manchmal ist tatsächlich alles so, dass es nur noch mit unsäglichen Worten zu beschreiben ist. Dennoch gibt es eine Staatsraison, Schönauer. Wenn Sie mir versichern, dass Sie nie geschrieben haben, was Sie geschrieben haben, und ich kann das zu Protokoll geben, auch wenn wir alle wissen, dass es nicht stimmt – ich weiß, das klingt ein wenig kompliziert, aber so ist eben die Politik – kann ich Sie zum Hofbibliothekar ernennen und Sie haben eine schöne Pension.
Schönauer: (nach längerem Nachdenken)
Ich will das nicht verleugnen, was ich geschrieben habe.
Joseph II: (nach längerem Nachdenken)
Schade, Schönauer, ich kann aus meiner Haut als Kaiser auch nicht heraus. Dann nehmen Sie zumindest diese Tabakdose, sie ist mein ganz privates Geschenk, nicht ganz wertlos, als Dank, dass Sie sind, wer Sie sind. Ich kann Sie verstehen, glauben Sie mir.
Schönauer:
Ich glaube Ihnen Majestät.
Joseph II:
Alsdann, Schönauer, sie können gehen.

Schönauer verlässt rückwärtsgehend den Raum.
Drei Monate nach diesem Gespräch in der Wiener Hofburg verstirbt der Kaiser an Lungenschwindsucht.
Schönauer kehrt nach Innsbruck zurück, lebt dort noch einige Jahrzehnte und verfasst sechzehn weitere Bücher, in denen er, unverbesserlich wie immer, nicht davon ablässt, die Welt als einen Haufen Unrat zu bezeichnen.

 

Die Berichte, von denen der Kaiser spricht:

Buch in Pension. Tagebuch eines pensionierten Bibliothekars 2. 130 Rezensionen aus dem Jahr 2020. Mit einem Vorwort von Gerhard Ruiss. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2021.
ISBN 978-3-903125-54-4.
Buch in Pension. Tagebuch eines pensionierten Bibliothekars 1. Hundert Rezensionen aus dem Jahr 2019. Mit einem Vorwort von Winfried Gindl. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2020.
ISBN 978-3-903125-44-5.

Tagebuch eines Bibliothekars. Band VI, 2016–2018. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2019. ISBN 978-3-903125-35-3.
Tagebuch eines Bibliothekars. Band V, 2013–2015. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2016. ISBN 978-3-901960-83-3
Tagebuch eines Bibliothekars. Band IV, 2009–2012. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2016. ISBN 978-3-901960-82-6
Tagebuch eines Bibliothekars. Band III, 2004–2008. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2016. ISBN 978-3-901960-81-9
Tagebuch eines Bibliothekars. Band II, 1999–2003. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2015. ISBN 978-3-901960-80-2
Tagebuch eines Bibliothekars. Band I, 1982–1998. Sisyphus-Verlag, Klagenfurt 2015. ISBN 978-3-901960-79-6

Aus den zahlreichen, vom Kaiser inkriminierten Werken:

Der Mitterweg ist ausweglos. Poem vom Rand der Stadt. Innsbruck-Wien 2013
Bürger Metzger Meisterin. Roman. Innsbruck 2004
Der eingecremte Blick auf Vilnius, Roman, Wien 2002

*Helmuth Schönauer, 1953 geboren, ist Schriftsteller, war bis zu seiner Pensionierung Erwachsenenbildner und Bibliothekar an der Universität Innsbruck und ist einer der bedeutendsten Satiriker Österreichs.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Gerhard Rödlach

    Lieber Alois,
    da werd ich ja fast ein bisschen sentimental. Kann mich noch sehr gut daran erinnern, welche Kämpfe ich innerhalb der Tyrolia geführt habe, um ein bisschen den katholischen Mief aus der Literaturabteilung wegzubekommen. Und mit welchem Vergnügen ich verschiedene Tiroler Autor:innen lesen und kennenlernen durfte. Mit dem Helmut zusammen habe ich die eine oder andere Lesung organisiert – die Gespräche vor allem danach werde ich nie vergessen. Meine Vorliebe für wirkliche Querdenker war ja schon da, aber ich bin heute noch dankbar für viele Begegnungen mit Menschen abseits des intellektuellen Einbahndenkens.
    Hab jetzt auch gleich deine Antwort auf Frau Dr. Medicus gelesen: großartig!!! Kann ich nur zu 100 % unterschreiben und befürchte leider auch, dass es viel Verwässerung geben wird.
    Herzliche Grüße und vielen Dank für das Lesevergnügen und die Anregungen zum Denken!

  2. pedarnig

    Wes das Herz voll ist…..Schönauer Schöpft aus dem Vollen.

  3. Elias Schneitter

    Hallo Alois! Ein Highlight heute der Dialog auf dem Blog. Chapeau!!!! Elias

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