Print Friendly, PDF & Email

Alois Schöpf
Am Beispiel Blümel
Wenn die öffentliche Meinung die Justiz ersetzt, beginnt der Krieg aller gegen alle.
Essay

Frau Meinl-Reisinger von den NEOS hat es am Dienstag im Parlament auf den Punkt gebracht, als sie verkündete, „das Strafrecht könne nicht die letzte Linie für die Verantwortung von Politikern sein, da müsse man schon wesentlich früher ansetzen.“

Bravo Frau Abgeordnete, gut gesagt!
Nur: Wer ist „man“?

Ist das ein Herr Kickl, der noch immer vom Verlust seiner Ministerwürde traumatisiert zu sein scheint, und der die Türkisen, die ihn im Regen stehen ließen, mit blankem Hass verfolgt? Oder ist es eine Frau Rendi-Wagner, die mit ihrem indiskutablen persönlichen Ausfall gegen Sebastian Kurz während des Wahlkampfs nicht nur zum Schaden der eigenen Partei, sondern zum Schaden für ganz Österreich eine Neuauflage der großen Koalition vergeigte? Oder ist es unser geschätzter Herr Bundespräsident, der in letzter Zeit sogar den Rechtsstaat kritisiert und sich trotz nur kurzweiligen Aufenthalts im Kaunertal als echter Kaunertaler verkauft? Oder sind es gar seine geliebten Grünen, die aus Freude an der unverhofften Macht alles daran setzen müssen, um die Wut ihrer postmarxistischen Ökofaschisten unter dem Deckel zu halten?

Nein, all die genannten Damen und Herren können doch nicht gemeint sein, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob dem Herrn Blümel, vom Strafrecht abgesehen, schon im Vorfeld eine Linie zu ziehen sei, wo seine Verantwortung beginne. Da müssen schon höhere Kaliber anrücken wie etwa ein Herr Wolf vom ORF, derzeit amtierender Oberinquisitor der Republik, oder ein Herr Klenk vom „Falter“, bei dem man sich übrigens erhebliche Kopierkosten sparen würde, da er ohnehin, nicht nur in der Sache Blümel, Unterlagen vorab von Maulwürfen im Justizapparat zugespielt bekommt. Als Vertreter der kritischen Hauptstadt-Intelligenzija dürfte angesichts solch geballter Kompetenz naturgemäß auch ein Herr Menasse nicht fehlen, bei dem es nicht zu viel verlangt erscheint, wenn er für die zahllosen Bonifikationen aus öffentlichen Mitteln für seine Arbeiten als Schriftsteller auch seine ethische Expertise zur Verfügung stellt.

Was sich derzeit in Österreichs Parlament und in vielen Medien, allen voran dem staatlichen ORF, an verlogenem moralischen Triumphalismus abspielt, das hat Jacques Offenbach bereits vor ca. 160 Jahren auf den Punkt gebracht, indem er in seiner Operette „Orphée aux enfers“ eine gouvernantenhafte Dame aufmarschieren ließ, welche die öffentliche Meinung darzustellen hat. Selbige würde heute naturgemäß, dramaturgisch bedauerlich, da Frau Meinl-Reisinger, wenn sie auch noch singen könnte, eine ideale Besetzung dafür abgeben würde, besser durch einen jener „Poster“ repräsentiert, die bekanntlich mutig genug sind, orthographisch fehlerhafte Gemeinheiten in die Welt zu entsenden, gleichzeitig jedoch zu feig, darunter ihren Namen zu setzen. Deren der öffentlichen Meinung seit Jahrhunderten entsprechenden kleinkarierten, gehässigen und neiderfüllten Forumsbeiträge bilden denn auch das Humusbett all der Predigten, die von anbiederungswütigen Medien und noch anbiederungswütigeren Politikern dem Publikum als aktuell gültige Verantwortungslinien vorgeschrieben werden.

Dass diese Gesellschaftskomödie (ganz im Sinne des Romanwerks von Honoré de Balzac „La Comédie humaine“), in deren Zentrum das Bestreben aller Beteiligten steht, zuerst vor sich selbst und dann vor den anderen zu glänzen, nunmehr auch einen prominenten ÖVP-Politiker als Opfer in der Funktion des Sündenbocks erwischt hat, bedeutet nicht, dass es Gründe gäbe, mit dem Finanzminister der Republik Mitleid zu empfinden. Ist es doch gerade die ÖVP, auf alle Fälle jedoch die Tiroler ÖVP, die gezeigt hat, wie rasch und opportunistisch man Leute vernichten kann, ohne dabei auf den Rechtsstaat, also auf das Recht, der Rechtsprechung unterworfen zu sein (habeas corpus), auf das Recht, angehört zu werden (audiatur et altera pars) und auf das Recht, als unschuldig zu gelten, solange man nicht verurteilt ist (in dubio pro reo), Rücksicht zu nehmen.

Der prominenteste Vertreter dieser Offenbach´schen öffentlichen Meinung war hierzulande bis vor kurzem der als „Ötztaler Blogger“ firmierende, national-marxistisch gesinnte Markus Wilhelm, der, inzwischen ins reifere Alter vorgerückt, im Falle einer rückblickenden Lebensbilanz zufrieden von sich behaupten kann, dass es ihm, seinen von ihm abschreibenden Kolleginnen und Kollegen und seinen hasserfüllten Postern gelungen ist, Ruf und/oder Existenz des Militärkapellmeisters Hannes Apfolterer, des ehemaligen Landtagspräsidenten Helmut Mader, des ehemaligen Landesrates Christian Switak und des Gründers und langjährigen Leiters der Tiroler Festspiele Erl Gustav Kuhn ohne Zuhilfenahme der Staatsanwaltschaften und Gerichte, die keinen Anlass zur Anklage sahen, ruiniert oder zumindest schwer geschädigt zu haben. So wurde, als vergleichsweise harmlosester Fall, die von Apfolterer mit großem Erfolg aufgebaute und von allen Prominenten hofierte Kaiserjägermusikkapelle in Grund und Boden ruiniert, Helmut Mader wie eine gefährliche Metastase aus der ÖVP expediert, Christian Switak aus seiner Position entlassen und Gustav Kuhn seines Lebenswerks beraubt.

Diese Machtfülle einzelkämpferischer Journalisten allein würde jedoch zu solch einer Vernichtungsleistung nicht ausreichen. Dazu braucht es, gleich einem kommunizierenden Gefäß, Politiker, deren oberstes Ziel, wie schon angedeutet, die eigene Beliebtheit und die Pflege der Fähigkeit ist, stets peinlich genau, obgleich konservativ und reaktionär im Kern, den leisesten Windhauch des Zeitgeists aufzunehmen und dementsprechend, vielleicht nicht für sich selbst, so doch für die jeweiligen Mitarbeiter, die von Meinl-Reisinger geforderten Linien einzufordern. In diesem Zusammenhang darf die Beobachtung nicht fehlen, dass der Fang besonders dicker Exemplare, die Markus Wilhelm aus dem Teich des heimischen Politotops zuweilen durchaus gelang, den Predigerstühlen der Medien kaum eine Nachricht wert war, gelten doch auch im Verhaberungsbereich medialer und politischer Eliten die Grundsätze, dass eine Krähe der anderen nicht die Augen aushackt und man die Hand nicht schlägt, die einen füttert. Dies möge als letztes Schlaglicht auf die moralische Qualifikation jener genügen, die im Aufmarsch der öffentlichen Meinungen mit ihren Leitartikeln als Fahnenträger voranmarschieren.

All dies bedeutet nun nicht, dass hier, in falsch verstandener Arroganz eines weiteren Mitglieds der schreibenden Zunft, deren Angehöriger ich selbst bin, für Blümel bis Kuhn moralische Untadeligkeit behauptet würde. Die ist nicht das Thema der vorliegenden Überlegungen. Es bedeutet lediglich, dass unsere Gesellschaft am besten Weg ist, die geistigen Errungenschaften der schottischen Aufklärung, der Gewaltenteilung im Sinne von Montesquieu und der amerikanischen Verfassung im Sinne der Federalist Papers zu verspielen, wenn sie zunehmend die Urteile der Justiz durch das Fallbeil der öffentlichen Meinung ersetzt, und damit in einen Zustand des rechtsfreien Kampfes aller gegen alle, in eine Vorstufe des Bürgerkriegs also, abzugleiten.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Lieber Alois,
    präziser kann man dieses Dilemma nicht formulieren. Und leider wird dieser Vorverurteilungswahn von zu vielen unwidersprochen hingenommen. Die Geister, die man rief, um der Gebots- und Verbotswut mancher politischer und wissenschaftlicher Rädelsführer Wirkung zu verschaffen, sind angekommen. Denn man hat es geschafft, Empathie, Eigenverantwortung, Selbstdenken, Mut zum öffentlichen Widerspruch und Menschenwürde in den Hintergrund zu drängen, um für absurde Verschwörungstheorien, politischen Radikalismus, Manipulierbarkeit, Konformismus und eben der inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Vorverurteilung Platz zu schaffen.
    Lieben Gruß

  2. J.Müller

    Geschätzter Herr Schöpf, ich lese ab und zu Ihre Beiträge in der TT, meistens kann ich zustimmen.
    Was Se jedoch über den „Ötztaler-Blogger“ meinen und zum Ausdruck bringen, ist Ihrem Übermaß an Ichbezug zuzuschreiben, vielleicht ist es auch ein reflektorischer Empfindungseifer?
    Sie wurden ja im ÖVP-Biotop sozialisiert und ein Investigativjournalist waren Sie nie und werden es wohl auch nie sein. Um Ihre Meinung über den „Ötztaler“ halbwegs verdauen zu können, da muss ich schon mit dem Schweigen der Barmherzigkeit zusammenarbeiten…
    Ich könnte ja daraus den Schluss ziehen, dass Sie mit den von Wilhelm angeprangerten Zuständen (Nepotismus, Postenschacherei, Freunderlwirtschaft etc.) sich quasi solidarisieren???
    Für mich, und für viele andere, bleibt der “ OTZTALER“ das einzige kritische Medium in Tirol. Ohne Wilhelm wären die von Ihnen erwähnten politischen Sümpfe noch immer vorhanden.
    Schönen Gruß nach Lans!

  3. E.+Schneitter

    Die öffentliche und Verfolgung durch Privatjustiv ist ein sehr fragwürdiges Unterfangen

  4. Franz Viertl

    Fantastischer Bericht!!!!
    Franz Viertl
    St.Johann in Tirol

Schreibe einen Kommentar