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Zu den Festtagen
Stephan Alfare
Drei Gedichte

Das Mädchen mit dem Schal und der gestrickten Mütze

Das Mädchen, das laut gelacht hat
und laut geredet mit sich selbst im Supermarkt …
das Mädchen hat eine Fröhlichkeit ausgestrahlt,
die kannst du gar nicht aufschreiben.

Ich habe sie
aus den Augenwinkeln beobachtet,
aber angesprochen hätte
ich sie nie von allein.

Es ist von ihr fast
etwas Heiliges ausgegangen
im Supermarkt,
und ich habe den Einkaufswagen
durch die Wurst- und Fleischabteilung geschoben,
und dort haben drei Packungen Salami
auf dem Fliesenboden gelegen,
heruntergefallen, aus dem Regal gefallen,
und das Mädchen mit dem Schal
und der gestrickten Mütze
hat einen Bogen gemacht und
ist daran vorbeigeschlendert,
hat geredet und gepfiffen und geredet
und gelacht mit sich selbst
… ohne Unterlass …
und das war das Beste,
was mir hat passieren können
an diesem Tag
kurz vor Weihnachten 2020.

Das Mädchen hat sehr schön ausgesehen.
Wie jemand,
den man vermutlich
im Leben nie wieder sieht.


Silvesternacht im Tal

Erinnerung, halb im Schlaf noch:
Silvesternacht im toten Haus
unterm Schwimmbad.
Die Gesichter der Leute schienen
irgendwie herabgerutscht zu sein.
Große Verbitterung.
Tote Hose, Rauchverbot.
Ängstliche Menschen.
Einen Kasten Bier habe ich ausgetrunken.
Das Haus ist in einem Tal,
das schon lange
keine Künstler mehr
hervorgebracht hat, nein,
Möchtegernarchitekten
kommen von dorther
und unterrichten dann
in Wien an der Universität,
weil sie sich nicht getrauen,
alles auf eine Karte zu setzen.
Die Luft ist gut in der Gegend.
Gute, aber bittere Luft für die Menschen.
Sie sterben dann im Tal und in den Bergen
an der guten und bitteren Luft.
Es gibt auch Krebs im Tal.


Letzter Ausweg

Etwas anderes ist unmöglich.
Sie müssen die Anarchie
in die Fresse kriegen,
bis wir die Fresse krachen hören,
und dann wird es Frühling
und danach Sommer werden,
und ein Jahr ist vorüber,
und wir werden Lebkuchen essen
zu Weihnachten und ganz
fette Gänse, und alles wird
sich wiederholen, unsere
Ärsche werden wund gesessen
sein, und du wirst ein Kalender-
blatt abreißen, so zaghaft wirst
du es abreißen, und dabei deine
Fingernägel betrachten, die
schwarz angemalt sind.

Stephan Alfare

Stephan Alfare (* 28. Jänner 1966 in Bregenz) unternahm von 1987 bis 1990 Reisen auf dem Balkan, nach Griechenland, Italien, Frankreich und in die Türkei. Anschließend arbeitete er bis 1996 als Sargträger auf dem Ottakringer Friedhof in Wien. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien. Im Jahre 2000 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Stephan Alfare ist Verfasser von erzählenden Werken und Gedichten, Mitglied der Grazer Autorenversammlung und des Vorarlberger Autorenverbandes. Alfare erhielt u. a. 1999 das Staatsstipendium für Literatur in Österreich sowie 2002 den Theodor-Körner-Förderpreis.

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