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Peter Bubenik bespricht
Christian Schacherreiters "Wo die Fahrt zu Ende geht".

Der Autor, ein renommierter Literaturfreund, Literaturkritiker und ehemaliger Schuldirektor, schreibt in diesem Roman über die Entwicklung der Jugend in den 1960er/ 1970er Jahren und zeigt, was daraus geworden ist. Die Geschichte, die erzählt wird, ist eine Art Entwicklungsroman in neuer Form und neuen Strukturen. Die linearen Erzählklischees werden durchbrochen und es wird vom Standpunkt des reifen Mannes Hannes aus erzählt. Im Rückblick blättert sich seine Jugendentwicklung auf und dann folgt die Erzählung in seiner Zeit fortlaufend, wobei immer wieder Rückblicke anderer Personen, wie die seiner Schwester Monika, das Geschehen bespiegeln.

Die Entwicklungsstufen des Hannes sind seine Jugendjahre als revolutionärer Linker, der mit den kommunistischen Ideen liebäugelt, aber nie ganz davon überzeugt ist. Dabei wird seine Beziehung zu Dora eine wichtige Lebenserfahrung. In diese Zeit der Liebe fällt auch die Erinnerung an das Gedicht von Joseph Eichendorff „Frische Fahrt“, dessen letzter Vers dem Roman den Titel gibt. Das Motto, unter dem das Leben des Hannes steht, ist in diesem Gedicht angedeutet. Der Roman ist eine Einladung, das Leben zu genießen, das Leben zu nehmen, wie es ist, und eine Aufforderung, etwas aus seinem Leben zu machen. Bei Eichendorff heißt es: “Und das Wirren bunt und bunter/ Wird ein magisch wilder Fluß,/ In die schöne Welt hinunter/ Lockt dich dieses Stromes Gruß.“

Hannes steht in dieser Welt und er genießt und er leidet und er versucht zu gestalten. Nach der großen Liebe zu Dora verliebt er sich in Lisa, die ihm für sein wissenschaftliches Projekt über Klöster in Oberösterreich zugeteilt wurde und die wesentlich jünger ist als er. Die Liebesbeziehung wird wunderbar zart beschrieben, dazu kommen noch großartige Beschreibungen von St. Florian, die faszinierend und bewegend zugleich sind.

Als er und Lisa erkennen, dass sie keine Zukunft haben, weil sie eine Karriere vor sich hat und Hannes diese Zukunft nicht sehen kann, wird klar, dass das Leben für jeden seine Inhalte, seine Ziele und Wahrheiten hat, die man selbst durchmachen und gestalten muss. Dabei helfen Rückblicke von Hannes´ Schwester auf ihr Leben und ihre Erfüllung.

Der Weg des Hannes vom jugendlichen Revolutionär zum ausgewogen abwägenden und im rationalen Denken ruhenden, die Zukunft abwägenden Erwachsenen ist lange und oft auch schmerzlich. Im Rückblick denkt Hannes an einer Stelle: „Die Jugend. Die Studentenjahre. Die Linke der Siebzigerjahre. Unsere Hoffnungen. Unser Wahnsinn. Unsere Verunsicherungen. Unsere Desillusionierungen. Wie war ich in diese Welt geraten…?“ Die Klarheit in der Welterklärung suchend, sagt Dora einmal zu Hannes über den Kommunismus: „… manchmal scheint alles so klar zu sein, so logisch und richtig…“, darauf antwortet der geläuterte Hannes: „Weil dieser Plan in sich stimmig ist, von rationaler Schönheit. Aber ob das Leben dem großen Plan folgen wird, ist doch völlig offen. Es gibt kein Gesetz der Geschichte.“

Damit zeigt sich im Roman die Entwicklung des Hannes, und sein Lebensweg führt ihn über seine Jugendliebe Dora und seine Altersliebe Lisa hin zu einer Sicht der Welt, die konträr zu seiner Jugendzeit steht. So resumiert er: „Das Erbe von Achtundsechzig … Ich stelle es nicht in Frage, nein, in Frage stelle ich nur das Heilsversprechen, das naive Pathos des Fortschritts, das so tut, als wären Freiheit und Glück ein und dasselbe … Das Tragische tritt nicht ab, sobald die Freiheit ihren Auftritt hat.“ Und zuletzt muss er sich eingestehen, dass sein Lebensweg ihn in die Leere geführt hat: „Bloß nicht ausgeliefert sein! Immer Herr bleiben im eigenen Haus! Unbefugten ist der Zutritt verboten – und – niemand scheißt mir in mein Leben! Das war mein kategorischer Imperativ. Wohin hat er mich geführt? Nirgendwohin!“

Damit schließt der Roman zwei Entwicklungen: In dem Werdegang der Hauptperson vom linken Revoluzzer zum geläuterten Betrachter der Schönheit der Welt, der tolerant der Religion gegenübersteht und das Leben genießen kann. Und andererseits vom Bezugsmenschen, der die Frauenliebe nicht nur genießt, sondern sie auch als Lebensinhalt im Beisammensein sieht, vom Mann, der vom Vatersein träumt, zum in sich gekehrten einsamen Mann, der den Sinn seines Lebens verpasst hat.

Die Sprache ist immer markant, oftmals wunderschön lyrisch. Immer kraftvoll und faszinierend. Sie schlägt den Leser in Bann. Man wird oftmals von der Schönheit, der Treffsicherheit und der poetischen Fühligkeit überrascht. Christian Schacherreiter hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das begeistern kann, weil es ehrlich und echt ist, und weil man sich im Suchen der Weltsinngebung selbst wiederfindet.

Christian Schacherreiter „Wo die Fahrt zu Ende geht“, Otto Müller Verlag, 271 Seiten, 21 €

Peter Bubenik

Dr. Peter Bubenik: Geboren 1940 in Wien. Nach der Matura 1959 am Stiftsgymnasium Seitenstetten Geschichtestudium an der Universität Wien, Abschluss mit dem Doktorat. Lehramtsstudium Deutsch und Geschichte, anschließend AHS-Lehrer am Stiftsgymnasium Seitenstetten und Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Germanisten NÖ. Publikationen zur Didaktik des Deutschunterrichts.

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