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Literarische Korrespondenz
Betrifft:
Corona, Freiheit des Bürgers und Maßnahmen der Regierung

Lieber Peter Wallnöfer!
Herzlichen Dank für die Erlaubnis, deinen Kommentar zu meinem Apropos-Artikel vom 11.01.2020 abzudrucken.
Inhaltlich möchte ich nur hinzufügen: Ich bin ein absoluter Verfechter der Freiheit der von mir ironisch abqualifizierten Privatintelligenz der Europäer.
Ich bin jedoch der Ansicht, dass wir derzeit in einem medizinischen Notstand leben und die Regierung gleichsam Notstandsgesetze erlassen muss.
Dieser Vorgang ist einmalig und neu und dementsprechend von vielen Pannen gekennzeichnet.

Über deinen geradezu physischen Widerwillen gegen Kurz haben wir ja schon gesprochen. Ich meinerseits bringe der Regierung schlicht und einfach mehr Vertrauen und Verständnis entgegen. Das Schlimmste wäre für mich, wenn sie den Notstand, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, nicht begreifen würde und den Notstand dadurch noch vergrößern würde. Dass sie dies nicht tut, dabei allerdings einigen Pfusch anrichtet, ist dennoch in der Bilanz ihr großes Verdienst. So sehe zumindest ich das alles.

Mit herzlichen Grüßen
Alois


Lieber Alois Schöpf,
danke für Deine Rückmeldung – ich respektiere Deine Haltung selbstverständlich – ich sehe es jedoch einfach anders.
Fehler passieren gerade in Ausnahmesituationen – aber diese vielen Pannen sind doch deutlich zu viel.
Vom Bürger – oder wie es so schön heißt vom „Normunterworfenen“ – verlangt man die vorbehaltlose Kenntnis und Beachtung jedweder Vorschrift (auch außerhalb von Corona) – da sollte man dann schon präziser in der Normgestaltung sein und auch in Krisenzeiten verlässlicher informieren.

Aktuell stellt sich wohl die Beschaffung des Impfstoffes als geradezu fahrlässig dar. Mir haben Politikinsider durchaus nachvollziehbar erklärt, dass man eben auf den billigeren Impfstoff gesetzt hat, der immer noch keine Zulassung hat, und auch deshalb jetzt die Situation entstanden ist, dass wegen offenkundiger Versäumnisse Menschen sterben werden. Da braucht die Politik dann nicht mit dem Finger auf ein paar Studenten zeigen, die am Inn in der Sonne gesessen sind. Bei dem, was angeblich eine Woche Lockdown kostet, hätte man große Mengen auch an teurerem Impfstoff kaufen können.

Das Chaos mit den Schulen lässt mich täglich dankbar dafür sein, dass meine beiden Kinder schon dem Schulalter entwachsen sind.

Wenn ich Betreiber von Gastronomiebetrieben damit prahlen höre, dass sie wegen der Überförderung im November mit 80 % des Umsatzes des Vorjahres, samt Kurzarbeitshilfe und Fixkostenzuschuss, den „November ihres Lebens“ gemacht haben und, wie mir in einem Fall ganz tirolerisch authentisch erzählt wurde, dann gleich „Dubai gebucht“ haben, – mit einem knackig tirolerisch armrempelnden „woasch eh?“ ostentativ verstärkt – kommt mir das Kotzen. Ich vertrete als Rechtsanwalt eben viele Arbeitnehmer und sehe, wie es denen mittlerweile ergeht, mit und ohne Kinder samt Schulchaos. Die bekommen das Geld nicht mit beiden Händen nachgeworfen. Und ich frage mich, wer das dann alles bezahlt.

Unschärfen und vereinzelte Ungerechtigkeiten sind eines. Systemische Fehler etwas anderes.

Abseits von Corona und seinen Blüten, möchte ich mich aber auch nicht mehr deshalb schämen Österreicher zu sein, weil ich die abgehobene Hartherzigkeit von Kurz gegenüber der Situation in den Flüchtlingslagern in Griechenland wirklich verabscheue. Ich könnte noch lange weiterschreiben, aber das sind nur ein/zwei Spitzen eines Eisbergs, den ich sehe und auf welchen wir drauflossteuern.

Aber wie bemerken die Politiker dann: „Am Ende des Tages das Buch von hinten zu lesen ist leicht.“ Und die Suppe, die sie uns mit ihren hochbezahlten Jobs einbrocken, müssen sicher nicht sie selbst auslöffeln, wenn sie in nachpolitischen Versorgungsjobs mit wahrscheinlich noch unverschämteren Gagen ein paar Wortspenden und Nachbetrachtungen beisteuern.

Deshalb ist gerade dann, wenn in Krisen und aus Angst nach Führung gerufen wird und nach Verboten gelechzt wird, größte Vorsicht geboten.

Aus den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses 1913 (StProtAH 21. Sess 5326) zum damals konzipierten Epidemiegesetz, welches in seiner aktuellen Fassung 1950 nur wiederverlautbart wurde, also auf das damalige Epidemiegesetz zurückgeht, ergibt sich etwa die kritische Wortmeldung eines Abgeordneten: „……Wohl selten mag eine Gesetzesvorlage dem Hause vorgelegt worden sein, die in so frivoler Weise die Freiheit des Einzelnen, die Abgeschlossenheit der Familie, die Existenz insbesondere der wirtschaftlich Schwachen bedroht, wie die in Beratung stehende Vorlage zu einem Epidemiegesetze: Fast hinter jedem Paragraphen steht das Polizei- und Denunziantentum“ (Fahrner, StProtAH, 21. Sess 5362) .

Also alles nichts Neues.
Liebe Grüße
Peter

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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