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Literarische Korrespondenz
Alois Schöpf an Hannes Hofinger!
Betrifft: Ibiza und Chat-Protokolle

Lieber Hannes!
Deine Einwände von gestern zu meinem Artikel „Gemauschelt wird immer! Eine Rechtfertigung“ möchte ich nicht unwidersprochen stehen lassen, zumal die Frage nach der Moral und dem Charakter von Politikern immer wieder Anlass zu heftigen Diskussionen mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen gibt und gegeben hat.

Aus meiner Sicht ist die Moral, also die militant durchgesetzte Vorstellung, wie das Leben zu gestalten sei, die Basis für die schlimmsten Übeltaten der Menschheit überhaupt. Ich empfehle zur Veranschaulichung Karl-Heinz Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“. Oder ich erinnere aus aktuellem Anlass an die neuerliche Diskriminierung der Homosexualität durch die katholische Kirche, aber auch an die derzeit laufende, sich endlos hinziehende Debatte über die Liberalisierung der Sterbehilfe, die ein Jahr um das andere etwa dreitausend Österreicher daran hindert, ihren letzten Lebensabschnitt autonom und selbstbestimmt zu gestalten, sodass sie oft qualvoll sterben müssen, nur um einer totalitären Ideologie und der Feigheit jener Genüge zu leisten, die es aus opportunistischen Gründen nicht wagen, dagegen aufzustehen.

Selbstverständlich sollten in diesem Zusammenhang auch die Abermillionen nicht vergessen werden, die aufgrund von „parteifeindlichem und antisowjetischem Verhalten“ in den Gulags oder nach demütigender Selbstkritik im Rahmen der chinesischen Kulturrevolution in Umerziehungslagern zugrunde gegangen sind. Nicht zu vergessen die geistlichen Würdenträger des Iran, welche ihre Gegner unter dem Vorwand hoher moralischer, von Gott selbst diktierter Ansprüche an Baukränen aufhängen lassen. Und nicht zu vergessen jene vom Westen hofierten Wüstensöhne, die unliebsame Zeitgenossen in Salzsäure zum Verschwinden bringen.

Sowohl die Geschichte als auch die Beobachtung der aktuellen politischen Auseinandersetzungen legen es nahe, in Abgrenzung zur Moral doch besser ein Anhänger des simplen Gesetzlichkeitsgrundsatzes zu sein, wonach es, in die lateinische Kurzformel gefasst „nullum crimen, nulla poena sine lege“, kein Verbrechen und keine Strafe ohne Gesetz geben darf.

Diese Klarstellung ist notwendig, um nicht missverstanden zu werden, wenn ich festhalte, dass das Verhalten von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in Ibiza strafrechtlich irrelevant war. Der FPÖ-Chef hat die Republik weder verscherbelt, wie du es behauptest, noch trat er, wie es wochenlang durch die Medien geisterte, für die Privatisierung des Trinkwassers ein. Die mutige und vom ORF selbstverständlich nicht zur Kenntnis genommene Ausstrahlung des Ibiza-Videos in Fellners oe24 TV hat diese Behauptung inzwischen widerlegt. Dass die beiden Herren, zusehends stockbesoffen, in eine so plumpe Falle gingen und auf eine Escort-Lady in der Rolle als Oligarchin hereinfielen, qualifiziert sie nicht unbedingt als reife Persönlichkeiten, hat jedoch mit Gesetzwidrigkeit nichts zu tun. Strafrechtlich ebenso irrelevant sind die Chats, die zwischen den Politikern Kurz, Blümel und Schmid hin und her wanderten und die zum Anlass genommen werden, den zweifelhaften Charakter der Politiker, angeblich fragwürdige Mauscheleien und damit ihre mangelnde moralische Befähigung für politische Ämter unter Beweis zu stellen.

Obgleich den Genannten also, zumindest im Hinblick auf Ibiza und Chats, strafrechtlich nichts anzulasten ist, forderst nicht nur Du eine Debatte über ihre charakterliche Qualifikation ein, deren angeblicher Mangel bei Strache und Gudenus bereits zum Rücktritt aus allen politischen Ämtern geführt hat, und den viele Gegner der derzeitigen Regierung ebenso gern zum Anlass nehmen würden, um Kurz und Blümel, wenn schon nicht durch Wahlen, so doch über die Moral loszuwerden.

Indem du Julian Assange, dessen Verhaftung aufgrund eines lachhaften Delikts und dessen Inhaftierung und mögliche Auslieferung an die USA tatsächlich ein unfassbarer Menschenrechtsskandal inmitten eines immer lautstärker moralisierenden Westens ist, mit jenen sogenannten Aufdeckern vergleichst, die mit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos und aus dem Justizministerium geschleuster Handy-Chats ihr mediales Kleingeld verdienen, hebst du schlicht und einfach ein von vielen, nicht einmal von allen als fragwürdig eingestuftes Verhalten auf die gleiche Stufe wie jene Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Assange öffentlich gemacht hat.

Genau diese verführerische, weil billigen moralischen Mehrwert abwerfende Gleichstellung betrachte ich jedoch als einen gefährlichen und von den meisten in seinen Folgen noch nicht ausreichend durchschauten Angriff auf die Freiheit von uns allen. Eine Freiheit, die dann ausgehöhlt und eliminiert wird, wenn Gesetze nicht mehr dazu da sind, uns die Möglichkeit zu schaffen, ein Leben zu führen, wie wir es, ohne die Freiheit unserer Mitmenschen zu beeinträchtigen, nach reiflicher Überlegung als richtig für uns empfinden. Immer dort nämlich, wo Medieneliten zur eigenen Selbsterhöhung oder Ankurbelung des Geschäfts – und dies können Priester über ihre Kanzeln genauso sein wie Chefredakteure über ihre Zeitungen oder TV Kanäle – beichtspiegelartige Verhaltensmaßstäbe diktieren, die den Gesetzen vorgelagert sind, um damit Macht über die Politik auszuüben, ist es unausweichlich, dass diese Verhaltensmaßstäbe binnen kürzester Zeit auch für jeden einzelnen Bürger zum postchristlich säkular-puritanistischen Diktum aufsteigen.

In einem Land jedoch, in dem es verboten oder zumindest als rufschädigend und absolut ungehörig betrachtet wird, sich bei unnötigem, gehässigem, billigem und intrigantem Geschwätz, wie es gerade in der Kunstszene, lieber Hannes, zur höchsten aller Lüste gehört, die Zeit zu vertreiben und sich dabei mit Alkohol zuzuschütten oder eine geile Blondine anzubaggern, möchte ich nicht mehr leben. Ebenso nicht in einem Land, in dem ich aufpassen muss, welche Handynachrichten und Chats ich mit wem austausche und ob ich mich dabei einer gehobenen höfischen Sprache bediene. Ich möchte auch nicht in einem Land leben, in dem die Politiker bessere Menschen sein müssen als ich, um mich regieren zu dürfen. Ich bin nämlich überzeugt, dass diejenigen, die immer nur das Gute und Edle wollen, viel mehr Schlimmes und Übles angestellt haben als diejenigen, die sich nicht über ihre Mitmenschen erheben und von ihnen auch nicht verlangen, besser zu sein als sie selbst.

Der Maßstab guten Regierens ist für mich nicht eine Eins in Betragen, sondern eine Politik, die dafür sorgt – um es mit dem Bauernschädel Eduard Wallnöfer (übrigens charakterlich keineswegs lupenrein) zu sagen -, dass die Menschen Wohnungen zum Wohnen haben, eine intakte Infrastruktur, um dorthin zu gelangen, eine gute Ausbildung, um jedem und jeder Chancen zu bieten, die er oder sie nützt oder nicht nützt, ein Gesundheitssystem, das uns freudvoll alt werden lässt, und vor allem einen einigermaßen befriedigenden Arbeitsplatz, an dem wir genug zum Leben verdienen.

Mit welchem Charakter Politiker dieses Ziel erreichen, ob sie fremdgehen, saufen, schwul sind, Pornofilme anschauen oder täglich meditieren und vegan leben, ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich egal. Hauptsache ist, sie erreichen es! Im Rahmen unserer demokratischen Verfassung und Gesetze! Und nicht im Rahmen einer gouvernantenhaften und stets heuchlerischen sogenannten öffentlichen Meinung!

Mit herzlichen Grüßen
Alois

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Robert Karl

    Servus Alois,

    ich bin ja zwar nicht der naiven Meinung, dass der Austausch von Argumenten irgendwas an deiner grundsätzlichen Begeisterung für die jetzige Buberlpartie ändern kann, aber deiner Argumentation muss ich trotzdem widersprechen, sie ist einfach zu hanebüchen.
    Im wesentlichen argumentierst du so: „Moral“ als Gesichtspunkt der Beurteilung des Verhaltens unserer Regierenden sei abzulehnen, weil sie durch vielfachen Missbrauch in Vergangenheit und Gegenwart jede Legitimation verloren habe. Und übrigens sei Moral nichts anderes als die militante Umsetzung von Vorstellungen über die Lebensgestaltung etc. Was zählt, ist einzig das Strafrecht, „nulla poena sine lege“ etc. Ich halte das alles für ziemlichen Unsinn, den du nicht Beitrag für Beitrag wiederholen solltest.

    Erstens geht’s sowieso nicht um Strafen – es ist blanke Polemik, das zu unterstellen. Es geht um eine politisch relevante und sehr notwendige Meinungsbildung über die charakterliche Eignung für hohe Staatsämter. Sich eine Meinung über die zu Wählenden (oder auch Abzuwählenden) zu bilden ist keine ungerechtfertigte Sanktion, sondern geradezu eine staatsbürgerliche Pflicht! Und daran, dass solche Kriterien in unseren Wahlauseinandersetzungen völlig unterbelichtet bleiben, wurden wir und wurden die Medien in den letzten Monaten deutlich erinnert. Ein bleibendes Verdienst der Regierung Kurz!

    2. Wenn der Missbrauch durch Unrechtsregime, Kirchengreuel und ähnliches die „Moral“ delegitimiert hat, dann trifft dies mindestens ebenso auf die jeweils gültigen Gesetze zu. Die ältere und jüngere Geschichte ist voller Beispiele, wie die unmenschlichsten Praktiken durch passende Gesetze gerechtfertigt wurden. Kommt deswegen jemand auf die Idee, Gesetze als Grundlage staatlichen Handels abzulehnen? Na eben.

    3. Es geht auch gar nicht um „Moral“, das Wort ist völlig unangebracht. Es geht vielmehr darum, in der politischen Meinungsbildung Gesetze nicht dem Wortlaut nach anzuwenden, sondern ihrem Sinn nach! Als Staatsbürger kennen wir den Wortlaut der allermeisten Gesetze nicht einmal so genau – sehr wohl aber haben wir eine ausreichende Vorstellung von dem, was die Absicht des Gesetzgebers ist oder gewesen sein muss. Wenn zB Gesetze die Vorteilsnahme durch Amtsträger verbieten, dann meinen sie natürlich auch die Vorteilsnahme durch Leute, die Amtsträger werden wollen, oder geworden sind, aber zum Zeitpunkt der Versprechung noch nicht waren. Oder das Hinausschwindeln eines Laptops aus einer Hausdurchsuchung – das ist und bleibt eine Justizbehinderung, auch wenn man irgendwelche Erklärungen dafür fabrizieren und einer Verurteilung entgehen kann. Schmid-AG, SMS mit den zufällig verbundenen Gesprächsthemen Parteispenden und erwarteten Vorteilen, ad-hoc Gesetzesänderungen zur Behinderung einer unliebsam werdenden Justiz, Shreddergate, etcetc – die Chatprotokolle und die bekanntgewordene Praxis dieser Regierung sind reich an Beispielen solchen Handelns, das vielleicht nicht dem Wortlaut der Gesetze widerspricht, sehr wohl aber einem rechtsstaatlichen Grundkonsens. Genau deswegen ist dies der einzig richtige Massstab für die Beurteilung, ob du es nun Moral nennst oder sonstwie – Anstand wäre wohl das passendere Wort.

    4. Ganz abgesehen von der praktischen Seite: Auf die schlussendliche Verurteilung zB eines Strache zu warten, incl Berufungen, Verjährungen und was weiss ich noch, das ist doch in der wirklichen Welt unvorstellbar, zumindest in einem Staat in dem die Mehrheit der Österreicher leben möchte. Zum Glück hatte der noch, zumindest vorübergehend, den Anstand freiwillig zurückzutreten. Wozu es freilich nie gekommen wäre, wenn die von dir gehasste heuchlerische linke Journalistenmeute nicht aufgedeckt hätte, was sie laut Schöpf nie hätten aufdecken dürfen. Ich fasse es nicht, dass du so denken kannst!

    5. Kritiker deiner rechten Freunde versiehst grundsätzlich mit Attributen wie „heuchlerisch“, „linksliberale Spiesser“, „linke Beissgesellschaft“ und so weiter. „Anpatzen“ wollen sie die Regierenden – na sowas, mit Unwahrheiten etwa? Nein, es sind leider zweifelsfreie Fakten, die da zu deinem Missfallen bekannt wurden. Hier wird nicht angepatzt, sondern es geht der Lack ab, um ein passenderes Bild zu wählen. Im übrigen, wenn hier jemand anpatzt, dann bist du es selber, indem du nämlich den Kritikern pauschal und ohne den Hauch von Fakten Heuchelei vorwirfst, und „links“ ist für dich sowieso das übelste, was man einem Menschen nachsagen kann. Nachdem „links“ für dich knapp von ziemlich rechts beginnt, erlaube ich mir schon die Frage: Hältst du dich eigentlich für einen Demokraten?

    6. Deine Freunde hingegen nimmst du in bester polemischer Manier gegen Angriffe in Schutz, die niemand ernsthaft vorgebracht hat. Dass die Buberlpartie schwul sei wegen der vielen Herzerln und Busserln, das behauptet doch keiner ernsthaft, und natürlich wäre es irrelevant. Auch nicht dass sie wegen ihrer Emojis verjagt werden sollen – obwohl die vielen smileys, Bussis, multiplen Rufzeichen usw schon etwas dümmlich wirken – aber niemand sagt, dass dies ein Grund sei, sie zu verjagen. Dass es um „privateste chats“ geht, ist ebenfalls unwahr, wie du genau weisst, denn die Justiz hat die wirklich privaten bereits ausgesondert. Du versuchst einfach Empörung für deine Freunde zu erregen und so die Auseinandersetzung mit den bekannt gewordenen Vorgängen zu vernadern. Ist das guter Journalismus?

    7. Und dann noch deine Exkursion über das angebliche von den bösen Moralisten ausgegebene Postulat, die Regierenden hätten einer Art höherer Moral zu genügen. Woher hast du das bitte? Ich will lediglich nicht von Leuten regiert werden, für deren Verhalten ich mich fremdschämen muss, und ich vermute, den meisten Österreichern würde das voll reichen. Wenn du doch einfach auf dem Boden der Tatsachen bleiben könntest!

    Du wirst deine Meinung nicht ändern, das ist mir völlig klar. Für dich ist ja Sebastian Kurz „das grösste politische Talent seit Kreisky“, und seine Betragensnote (ich nenne es Anstand) und die seiner Freunde hat uns nicht zu interessieren. Seis drum, deine Meinung wird zunehmend zu einer exotischen Randerscheinung…

    Gruss nach Tirol, bleib gesund!

    Robert

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