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Karlheinz Töchterle
Zweifelhafte Rankings
Landesuniversitäten zwischen Ivy-League und Volkshochschule
Essay

Auf einer Tagung im Herbst 2015 an der Universität Klagenfurt sprach deren Rektor und damalige Vorsitzende der österreichischen Universitätenkonferenz (UNIKO) Oliver Vitouch, für griffige Formulierungen bekannt, von grassierender „Rankomania“ und nannte fünf Faktoren, die für eine gute Platzierung in den diversen Rankings nötig seien: Größe, Alter, ein Fokus auf Naturwissenschaften und Medizin bzw. Life Sciences, Selektivität bei Studierenden und Finanzstärke.

Nicht unerwartet (da kenne ich meine ehemaligen Rektorskollegen doch zu gut) konzentrierte er sich im Folgenden vor allem auf diesen letztgenannten Faktor und konstatierte einmal mehr die haushohe Überlegenheit der bekannten US-amerikanischen Universitäten der sogenannten Ivy-League gegenüber den österreichischen. Dieser fast schon zum Topos gewordenen Klage, fast immer verbunden mit der Forderung an die öffentliche Hand nach mehr Geld für die Universitäten, sei hier nur der Hinweis entgegengehalten, dass Österreich mit seiner Hochschulfinanzierung bezogen auf das BIP im Spitzenfeld von EU und OECD liegt, deutlich vor so potenten Hochschulländern wie Deutschland oder Frankreich, noch deutlicher etwa vor Großbritannien.

Unter Vitouchs Führung ließ die UNIKO dann von einer Arbeitsgruppe ein Vademecum mit dem Titel „Internationale Hochschulrankings und ihre Bedeutung für die österreichischen Universitäten“ erstellen, das die international fünf bekanntesten Ranglisten genauer untersucht und sein Augenmerk insbesondere auf deren Bewertung der österreichischen Universitäten richtet.

Viele Erkenntnisse dieser Studie waren mir, der ich mich ja von Berufs wegen mit dieser Thematik mehrere Jahre lang zu befassen hatte, durchaus schon geläufig, ihr Wert bestand vor allem in einer Bestätigung und Validierung von schon Bekanntem oder auch nur Vermutetem. Ein paar Mal erregte sie dennoch Erstaunen und auch Missbehagen, vor allem auch vor dem Hintergrund der Bedeutung dieser Rankings für das Bild von unseren Universitäten in der öffentlichen Meinung.

Es ist ja leider so, dass von der Berichterstattung über Hochschulen fast nur diese Ranglisten regelmäßig und verlässlich Platz in den Medien finden. Ein Grund dafür mag die erwähnte Lust an der Liste sein, die Medien und ihr Publikum offenbar kräftig kitzelt, ein zweiter liegt zweifellos daran, dass die Positionen der österreichischen Universitäten darin häufig (wie überraschende Ergebnisse bei Rektorswahlen und Plagiatsfälle als weitere bevorzugte Themen) unter die attraktiveren ‚bad news’ fallen, weil sie – Ausnahmen liefern häufiger die Universität Wien und manchmal auch unsere Universität Innsbruck – kaum je unter den besten 200 liegen und sich dazu immer wieder einmal auch ein wenig verschlechtern.

Das erwähnte Missbehagen stellt sich z. B. ein, wenn man in dem erwähnten Vademecum unter den Bedingungen für eine „ideale Universität“ im Sinne der bekanntesten Ranglisten das Vorhandensein von „überdurchschnittlich häufig weiblichen WissenschafterInnen“ (sic! Die Genderei überdribbelt auch die UNIKO!) lesen muss. Derartiges findet sich in der Tat oft in universitären Entwicklungszielen und es mag gesellschaftspolitisch richtig sein, als Kriterium der Qualität von Forschung und Lehre kann es aber keinesfalls taugen.

Die Universität Innsbruck schneidet z. B. im gängigen Kriterium „Internationalität“ immer glänzend ab und belegt da sogar weltweit Spitzenränge. Die verdient sie sich natürlich auch mit der beachtlichen internationalen Kooperation im Forschungsbereich und mit vielen Berufungen aus den glücklicherweise forschungsstarken Nachbarn Deutschland und der Schweiz, aber eben auch durch die fast viertausend Südtiroler, die erfreulicherweise immer noch ihre ‚Landesuniversität’ als Studienort wählen, und durch viele Deutsche, die auch aus extrinsischer Motivation, z. B. als Flüchtige vor dem Numerus clausus oder wegen des Wintersports, ins nahe Innsbruck kommen.

Zurecht ein ganz wichtiges Kriterium der Rankings ist die Forschungsstärke, eine zentrale Maßeinheit dafür sind Zahl und Qualität der Publikationen. Wie aber werden diese gemessen? Zur Ermittlung der Zahl dienen als Datenquellen vor allem „Web of Science“ von Thomson Reuters oder Scopus von Elsevier, im „Leiden Ranking“ (ein jährliches globales Ranking, das ausschließlich auf bibliometrischen Indikatoren basiert) auch andere Indizes, die aber fast ausschließlich englischsprachige Publikationen in Form von Aufsätzen und Papers berücksichtigen. Ähnliches gilt für die Messung der Qualität, die großteils über Zitationsindizes erfolgt, mit derselben (in diesem Fall fast folgerichtigen) Einschränkung auf Zeitschriftenbeiträge in englischer Sprache.

Nun wissen wir alle, dass eine solche Messung nur einen geringen Teil des wissenschaftlichen Publikationswesens erfasst, wenn auch einen aus dem derzeit überragenden naturwissenschaftlichen Forschungsparadigma, was das Problem vielleicht abmildert, aber nicht behebt.

Ich zeige das an zwei Beispielen aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich unserer Universität, an der allein es schon tausende weitere gäbe. Das eine ist die monumentale zweibändige „Kunst in Tirol“ , 2007 bei Tyrolia in Innsbruck und Athesia in Bozen erschienen, herausgegeben von Paul Naredi-Rainer, dem 2018 emeritierten Ordinarius für Kunstgeschichte an unserer Universität Innsbruck, und Lukas Madersbacher, Professor ebendort. Darin wird das Titelthema von drei Dutzend ausgewiesenen Experten auf 1.600 Seiten in Text und Bild umfassend dargestellt, eine für das Land Tirol in seiner alten, viele hundert Jahre bestehenden Ausdehnung kaum zu überschätzende wissenschaftliche Leistung. In all diesen ach so beachteten Rankings wiegt sie weniger als ein wenigseitiges Paper in einer wenn auch renommierten englischsprachigen Zeitschrift, sie wiegt – ganz einfach – überhaupt nichts.

Das zweite Beispiel steht mir noch näher, und daher lobe ich es auch nicht zusätzlich. Es ist die „Tyrolis Latina“ , 2012 im Böhlau-Verlag erschienen und von dreien meiner ehemaligen Kollegen, nämlich Martin Korenjak, Florian Schaffenrath und Lav Subaric gemeinsam mit mir herausgegeben. Es ist die weltweit erste Geschichte der neulateinischen Literatur einer Region. Diese Literatur ist, obwohl um ein vieltausendfaches umfangreicher als die antike und für die europäische Geschichte in vielen Facetten hochwichtig, insgesamt immer noch wenig erforscht, auch wenn sich da in den letzten Jahrzehnten viel getan hat. Unsere etwa zehn Jahre dauernde, etwas über 1.300 Seiten umfassende Arbeit ist daher ein Pionier, erstellt von 15 Fachleuten, die nach ausgiebigen Recherchen circa 7.000 Texte von 2.000 namentlich bekannten und 1.400 anonymen Autoren zu einer Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol verdichtet haben. Auch sie dürfte für unser Land und dessen Geschichte und Kultur doch einige Bedeutung haben, findet aber in den erwähnten Rankings keinerlei Berücksichtigung.

Als Fazit kann man ziehen, dass der Bereich der Forschung in diesen Rankings nur ganz fragmentarisch erfasst und unzureichend gemessen wird. Regionsbezogene Forschung zum Beispiel, für eine Landesuniversität typisch und für ihr Umfeld hochrelevant, hat dort nahezu keine Bedeutung.

Noch schwieriger als in der Forschung ist die Qualität in der Lehre messbar. Auch hier muss man auf Zählbares zurückgreifen. Häufig wird die Zahl der Abschlüsse herangezogen, je mehr und je höher, desto besser. Da sind also große Universitäten klar im Vorteil, wenn nicht, wie bisweilen immerhin der Fall, eine Relation zu den Dozenten hergestellt wird. Diese kommt vor allem dann zum Tragen, wenn Betreuungsverhältnisse als Kriterium dienen. Da wiederum profitieren natürlich Universitäten, die ihre Studentenzahl durch Auswahl qualifizieren und begrenzen können und dies in Form strenger Aufnahmeverfahren und/oder auch hoher Studiengebühren umsetzen. Wir wissen, dass beides in Österreich nicht der Fall ist und wir insbesondere in den sogenannten Massenfächern nachgerade katastrophale Betreuungsverhältnisse haben. Das Gegenmittel der Studienplatzfinanzierung, das in meiner Zeit in der Hochschulpolitik von der SPÖ nur in wenigen Teilbereichen und sehr verwässert zugestanden wurde, konnte unter der ÖVP-FPÖ-Koalition (die nun schon wieder Geschichte ist) zwar realisiert werden und schafft im Verein mit nun allmählich stagnierenden Anfängerzahlen vielleicht künftig Abhilfe, sodass wir uns in diesem Kriterium verbessern werden. Eine wirkliche Hebung der Studienqualität wird die Studienplatzfinanzierung allein allerdings nicht bringen, da sind Systeme mit hoher Selektivität ganz klar im Vorteil.

Im Vergleich zu anderen Bildungssystemen weltweit sind unsere Universitäten aber noch weit weg von dem im Titel als Extrem angesprochenen Volkshochschulen (deren Wert und Bedeutung ich im übrigen durchaus hochschätze). In vielen Ländern der Welt gibt es außerhalb der Universität kaum Möglichkeiten zu höher qualifizierter Bildung und Ausbildung. Die dort daher zum Teil sehr hohen Zugangsquoten zu den entsprechend zahlreichen Universitäten führen zwangsläufig zu starken Qualitätsunterschieden und in der Folge zu dem Bemühen ambitionierter Studienwerber (und meist ebensolcher Eltern), in möglichst renommierten Universitäten unterzukommen. Diese sind schon von daher nachgerade zur Selektion gezwungen und üben sie in Form von anspruchsvollen Anforderungen an die Qualität von schulischen Abschlüssen (letztlich fällt auch der deutsche Numerus clausus hier herein), strengen Eingangsprüfungen oder eben auch hohen Studiengebühren aus. Diese zuletzt genannten sind als eine nicht intellektuelle, sondern soziale Selektion natürlich fragwürdiger als jene, die aber auch zu sehr problematischen Folgen führen können. Ich habe solche persönlich in Taiwan erfahren, wo unsere Universität mit mehreren Partnern intensiven Austausch pflegt, den ich als Rektor durch einen persönlichen Besuch unterstützen wollte. Da konnte ich den hohen Druck bemerken, dem dort Schüler ausgesetzt sind, um es letztlich in eine der begehrten Spitzenuniversitäten zu schaffen. Ähnliches kennt man ja aus vielen anderen Gegenden der akademischen Welt.

Weit davon entfernt also, solche Zustände herbeiwünschen zu wollen, erhebt sich  doch die Frage, ob man nicht auch unseren Universitäten mehr Möglichkeiten geben müsste, eine spezielle Eignung zum Studium zu überprüfen und gegebenenfalls abzusprechen. Das Abschlusszeugnis der Sekundarstufe allein scheint mir da oft nicht mehr aussagekräftig genug zu sein, einmal in Hinblick auf die durchaus erwünschte steigende Internationalität der Studienwerber, aber auch angesichts der permanent steigenden Sekundarabschlüsse im Inland, die zumindest in manchen Bereichen unweigerlich mit Qualitätseinbußen verbunden sind.

Unsere Universitäten behelfen sich da derzeit mangels anderer Mittel mit Aufbau- und Ergänzungskursen oder nutzen die Studieneingangsphase auch zum Hinausprüfen der ihnen ungeeignet Erscheinenden. Diese hätten gerade in Österreich eine Fülle von Ausbildungsmöglichkeiten außerhalb der Universität, für die sie vielleicht begabter wären und in denen, wenn ich etwa an die Klagen über den Mangel an Fachkräften denke, Berufs- und Einkommenschancen oftmals nicht schlechter, ja günstiger einzuschätzen wären als bei einem Universitätsabschluss, wo Arbeitslosigkeit und Prekariat stark im Steigen sind.

Dennoch gibt es leider es auch bei uns Tendenzen, ein Studium an der Universität als nahezu unabdingbar für einen gelungenen Bildungsabschuss hinzustellen. Hauptverantwortlich dafür ist einmal die OECD, die bis vor kurzem Österreich (wie auch Deutschland und die Schweiz) jährlich wegen seiner niedrigen Akademikerquote kritisierte und erst in letzter Zeit davon etwas abkommt, einmal, weil wir in unseren Statistiken jetzt einfach auch andere höhere Abschlüsse (zurecht!) akademischen gleichsetzen, dann aber auch, weil man insbesondere in der letzten Finanzkrise gesehen hat, dass eine differenzierte Berufsausbildung unsere Jugend besser vor Arbeitslosigkeit schützt als die weitgehende Akademisierung anderswo.

Ein zweiter Treiber von Akademisierung ist ideologisch motiviert und hofft mit ihr soziale Ungleichheiten beseitigen zu können. Da wird dann jeder Bildungsgang, der nicht akademisch endet, letztlich als zweitklassig, ja oftmals als „Sackgasse“ denunziert. Wenn alle dieser Botschaft folgen, landen wir zwangsläufig bei einer nach unten nivellierten Volkshochschule oder bei den schon beschriebenen extrem ausdifferenzierten Hochschulsystemen, die wiederum sehr selektiv sind, oftmals nicht nur in intellektueller, sondern eben auch in sozialer Hinsicht.

Zum Schluss noch ein paar Gedanken zu den Chancen und zur Bedeutung einer Landesuniversität: Es ist bemerkenswert, dass eines der von der UNIKO untersuchten Rankings, nämlich das von der Europäischen Kommission initiierte U-Multirank, auch „Regionales Engagement“ in seine Bewertung miteinbezieht. Als durchaus diskutable Kriterien erscheinen da die Anzahl von Absolventen, die in der Region Beschäftigung finden, die Anzahl von Studenten in von Unternehmen angebotenen Praktika, die von diesen gegebenen Drittmittel und regionale Gemeinschaftspublikationen.

Abgesehen von dem Grunddefekt, dass als „Region“ nur ein Umkreis von fünfzig Kilometern definiert und das Ergebnis damit für die Europaregion Tirol völlig unbrauchbar wird, entfallen viele wichtige Kriterien, vor allem natürlich wieder solche, die sich einer exakten Messung und Zählung entziehen. Am ehesten berechnen könnte man noch den Geldbetrag, den die Existenz einer Universität für deren Umfeld bedeutet, wobei darunter sehr häufig nur die Stadt gezählt wird, die sie beherbergt. Auch in Österreich wurden und werden solche Berechnungen allenthalben angestellt, insbesondere vom Linzer Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Schneider.

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat in einer Studie von 2013 den Wert der Hochschulen für die regionale Wirtschaft in Deutschland mit jährlich 190 Milliarden Euro berechnet. Das waren damals 7,3 Prozent des deutschen Bruttoinlandprodukts. Auch dieser materielle, volkswirtschaftliche Wert einer Universität für ihre Region lässt sich allerdings kaum präzise messen, höchstens ermessen, und schon er ist überaus bedeutend. Innovationsstärke, bestens ausgebildete Absolventen und zunehmend auch Unternehmensgründungen (meist sogenannte „Start-ups“) zählen hier wohl zu den wichtigsten Gewinnfaktoren.

Noch viel weniger messbar ist natürlich der ideelle Nutzen einer Universität für ihre Region. Ein wenig davon habe ich oben mit der Präsentation zweier Werke aus der Geisteswissenschaft angedeutet. Man könnte solche Werke wohl aus allen Disziplinen anführen, die an unserer Universität betrieben werden. Die meisten von ihnen gäbe es einfach nicht, wenn es die Universität nicht gäbe. Und natürlich ist eine Universität, insbesondere eine mit hoher Qualität, immer auch ein Ort und ein Hort hoher und höchster Bildung und strahlt damit stark und auf vielen Wegen auf die sie umgebende Gesellschaft aus. Und vor allem das ist – im wörtlichen wie im metaphorischen Sinn – ein unermesslich hoher Wert, den sie in der Europaregion Tirol gemeinsam und in möglichst gedeihlicher Kooperation mit deren anderen Hochschuleinrichtungen schöpft.

Karlheinz Töchterle

Karlheinz Töchterle ist österreichischer Altphilologe und Politiker. Er war von 2007 bis 2011 Rektor der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und vom 21. April 2011 bis zum 16. Dezember 2013 Bundesminister für Wissenschaft und Forschung. Von Oktober 2013 bis November 2017 war er Abgeordneter zum Nationalrat. Privat: Konditionsstarker Bergsteiger, begeisterter Flügelhornist und Fußballtrainer der dörflichen Jugendmannschaft.

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