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Helmuth Schönauer bespricht
Egyd Gstättner
„Klagenfurt. Was der Tourist sehen sollte.“

In Zeiten der Nivellierung und Globalisierung gibt es für den bodenständigen Heimatdichter der Peripherie bloß ein Thema: Wie kann ich meine Stadt zu einer Weltstadt aufblasen, damit sie in der Welt wahrgenommen wird? Der schlaue Volksmund empfiehlt als Antwort oft: Indem man aus der Welt die Luft herauslässt!

Egyd Gstättners Werk ist über weite Strecken ein politisches Settlement, um den Ausdruck Statement zu vermeiden. Zur unsäglichen Regierungszeit des triebigen und umtriebigen Landeshauptmanns Haider ist er als Solitär in Klagenfurt geblieben, während die sogenannten Widerstandsdichter aus der Ferne den Spuk kommentierten und erst wieder zurückkamen, als es für sie Wohnungen, Vorlässe und Stipendien gab. Egyd Gstättner hat während dieser dumpfen Zeit einsam die Stellung gehalten und in wöchentlichen Glossen und jährlichen Romanen versucht, an einen verschollenen Humanismus anzuknüpfen, wie er in den alten Gymnasien auf Lateinisch und Griechisch gelehrt wird.

Aus diesem Geiste heraus ist 2010 ein Bildband über Klagenfurt entstanden. Jetzt, wieder zehn Jahre später, wird dieser Band upgedatet und der Autor staunt selbst, was sich inzwischen alles verändert hat. Die Grundidee für dieses Klagenfurt-Buch geht auf Fernando Pessoa zurück, der einmal meinte, dass man der großen Literatur ein inniges Porträt der Stadt Lissabon gegenüberstellen müsse, damit die fugitiven Denkkräfte an einem fixen Boden festgemacht sind. Nun ist der Vergleich Klagenfurt und Lissabon sehr kühn, aber die Kärntner Hauptstadt hat den Vorteil, dass sie geistig nahe an Null liegt und so alle Gedanken eine dramatische Fallhöhe erreichen, wenn man sie nur formuliert.

Egyd Gstättner legt dem Klagenfurt Update eine kleine Handlung zugrunde. Im ersten Teil „Die Ankunft“ landet der Gast am mickrigsten Flughafen Österreichs, dem Airporterl von Annabichl. Im zweiten Teil soll sich der Tourist ein Fahrrad ausleihen und damit die Tour „Go West“ starten, denn seit Klagenfurt eine Uni hat, wird alles auf Englisch gesagt.

In diese Rahmenhandlung sind historisch hochrangige Gebäude, Skulpturen und Straßen eingeflochten, die jeweils zum Sinnieren einladen. So wird im ehemaligen Volkskeller jeder politisch Interessierte des Attentats im Pissoir gedenken, als zwei gelernte Volksschullehrer aufeinandertreffen und der Zukurzgekommene auf den zum Landeshauptmann Gestreckten schießt. Gleich daneben liegt das Musil-Haus, in dem Robert Musil maximal eine dreistellige Anzahl von Windeln vollgemacht hat, ehe er als größter Dichter des Landes Klagenfurt wieder verlassen hat. Und in einer kleinen Passage wird eines großen Übersetzers aus dem Slowenischen gedacht, über den man aber nicht wissen darf, dass er an Depression gestorben ist, wie die Umschreibung von Suizid im Kärntnerischen heißt.

Zum größten Meditationsort wird freilich jenes Gebäude, in dem einst der rasende Landeshautmann aufgebahrt lag. In der Erinnerung ziehen alle grotesken Aktionen auf, von der Geldscheinübergabe des Landespaten bis zur Begegnung mit dem libyschen Wüstendiktator, vom Hypodesaster bis zur Aufnahme einer CD mit Liedern des Verlassenseins.

Auf dem Weg nach Westen sollte es eigentlich durch den Lend-Kanal hinaus ins Freie oder zumindest an den See gehen, aber der Westen ist längst ins Stadtzentrum gekommen. So liegt die ehemals am freien Feld errichtete Universität jetzt mitten in der Stadt voller Grundstücksspekulanten und Universalanlegern. Irgendwo schwirren die frühen Sätze der Ingeborg Bachmann herum, als sie drei Wege zum See sucht und einen vom Krieg abgefackelten Baum trifft. Die wenigsten wissen, dass es sich bei ihr um eine Dichterin handelt, die meisten halten sie für die Gründerin des nach ihr benannten Wettlesens. Bei diesem Festival werden mit den Stilmitteln einer Talkshow diverse Texthühner über den Laufsteg getrieben.

In den sogenannten touristischen Teil sind immer wieder Erzählungen und Essays des Autors eingebaut, so dass ein imposanter Tiefgang entsteht, denn immer tritt der größte literarische Denker von Klagenfurt auf: Alois Brandstetter. Dieser zugewanderte Germanist hat zwei großen Dichtern auf die Sprünge geholfen, Josef Winkler und Egyd Gstättner, die bei Festivitäten manchmal eine Grundsatzrede halten dürfen. Zwischen den beiden besteht freilich ein denkerischer Gap, der die Literaturdiskussion beflügelt.

Als voraus-lesender Tourist gibt man sich diese wundersamen Klagenfurter Geschichten mit großer Hingabe. So also kann man aus einer ehemals schrägen Hofratssiedlung der Monarchie eine Weltstadt machen, wenn man nur lange genug an den Geschichten dranbleibt. Das erzählte Klagenfurt ist letztlich so logisch schön, dass man es gar nicht physisch besuchen muss, um alles von dieser Stadt zu wissen.

Egyd Gstättner: Klagenfurt. Was der Tourist sehen sollte.
Wien: Picus 2020. 192 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-7117-2091-7.
Egyd Gstättner, geb. 1962 in Klagenfurt, lebt in Klagenfurt und schreibt auch für schoepfblog.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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