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Helmuth Schönauer
Landkrimi - Krimiland
Stichpunkt

Soziologen und Literaturforscher sind sich einig: Wenn man etwas lange genug  betreibt, entsteht daraus ein Boom. Dieser hat freilich die Eigenschaft, dass er oft ganz anders auf die Menschen reagiert, als er von seinen Urhebern eingeplant war.

Seit gut fünfzehn Jahren durchwuchern sogenannte Regionalkrimis die Regale in Buchhandlungen, Büchereien und auf den digitalen Readern.

Ursprünglich als raffinierter Schreibimport aus dem skandinavischen Raum geplant, ist der kaltschnäuzige Psychokrimi schneller in den Alpen heimisch geworden, als man ihn in den Herbst- und Frühjahrskatalogen performen konnte. Die kriminellen Neophyten sind inzwischen eine Plage, der man weder mit Ignorieren, Ausreißen noch Diskutieren beikommt.

Jeder Ort, der imstande ist, Kartoffel anzupflanzen, hat mittlerweile seinen Landkrimi. Jeder Laptop, der einer schreibenden Hand ausgesetzt ist, spuckt inzwischen Provinzkrimis am laufenden Band aus.

Dieser Tage kam es zu einem interessanten Fernduell zwischen den Producern von Krimis und deren Anwendern. Gerade als der ORF einen Vertrag unterzeichnete, worin der x-te Landkrimi zur Realisierung freigegeben wurde, geschahen die Femizide Nummer neun, zehn und elf im Wochentakt. Wie in Krimiserien (Brunettis elfter Fall) werden in Österreich die Morde an Frauen durchgezählt und bedauert.

Allerhand Maßnahmen stehen im Raum, runde Tische soll es geben, Couchen werden aufgestellt für Beratungen von Männern und Frauen, Wegweisungen werden nachjustiert und Deeskalationen modellhaft beschrieben.

Alles gehört auf den Prüfstand, heißt es.

Nun denn, wenn es in der Radikalisierungs-Forschung heißt, dass die Gewalt zuerst in Bildern, dann in Sprache und schließlich in Taten erfolgt, dann müsste man zumindest andenken, wie das so schön heißt, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen der Leichtfertigkeit, mit der wir Krimis schreiben und vertreiben, und der Mordwelle an Frauen gibt.

Nicht dass es jetzt auf eine Verbotsdiskussion hinausläuft, in der Literatur darf nichts verboten werden. Diskutieren lässt sich aber, ob die Krimis überhaupt Literatur sind, oder nicht einfach Aggressionsvorlagen für Gewaltmasturbationen, so wie das ja Pornos im sexuellen Bereich sind.

Zu überlegen ist auch, ob man Verlagen, die Krimis produzieren, eine Literaturförderung angedeihen lassen soll. Die öffentlichen Büchereien, die ja mit öffentlichen Geldern beschickt sind, sollten einmal unter dem Aspekt echter Frauenmorde ihren Bestand von fiktionalen Frauenmorden durchkämmen.
Im Volksmund nennt man Bibliotheken seit jeher Waffenapotheken, weil es darin je nach Bedarf Heilmittel und Gewaltvorlagen zu entlehnen gibt.

Und der ORF könnte das Genre Landkrimi neu definieren. Der Provinzkrimi nämlich hätte auch dann eine Grundlage für seine depperten Dialoge, wenn die Helden nicht um eine Leiche herumstehen, sondern um ein Stück rätselhafte Ausscheidung in Wurstform, das meist die örtliche Landesregierung ohne Ausschreibung im Dorfanger abgelegt hat. Aufbau, Klärung und Dialoge könnten beibehalten werden, und der erbärmliche Plot würde immer zur Gegend passen.

Als erster Landkrimi gilt übrigens jener aus der Hallstattzeit (800‒450 v. Chr.), aus der ein Stück Bergmannsausscheidung in einem Stollen oberhalb von Hallstatt erhalten ist. Das wertvolle Stück ist in Salz konserviert und riecht auch nach Jahrtausenden noch, wenn es mit Feuchtigkeit in Berührung kommt. Kriminalisten können aus diesem Stück alles ermitteln: Ernährung, soziale Stellung, kulturelles Verhalten usf..

Auch die Autorenschaft könnte gut mit der neuen Parole leben:„Die durch den Tod verächtlich gemachten Menschen werden mit etwas Würdigerem ersetzt. Es widerspricht der Intelligenz eines schreibenden Menschen, an toten Körpern sein Schreibprogramm auszuprobieren!“

Seit man zu den Romanen nur mehr Krimis sagt, wird uns erschreckend klar, dass wir die Epoche mit den unzähligen Femiziden selbst geplant und vorformuliert haben mit diesen unsäglichen Text-Dingern, die außer Gewaltbildern keinen Nutzen liefern.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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