Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Inputten
Stichpunkt

Wie in den meisten Sportarten sind auch beim Glossieren die Grundregeln einfach, die Durchführung bleibt aber anspruchsvoll.

Die Glosse wird in diesem Gedankenspiel als Sportart bezeichnet, weil sie über das pure Kulturklientel hinausgreift und ähnlich einer Fußballliga aufregende Darbietungen in regelmäßigem Zeitabschnitt anbietet.

Die Spielregen für eine akzeptable Glosse lauten in etwa:
1. Die Stimmung der Zeitgenossen inklusive die des Autors kommt zur Sprache.
2. Das Thema wird von mehreren Seiten beleuchtet.
3. Das Publikum erfährt Wertschätzung. (Immerhin liest es ja freiwillig und hat sich keine Herabwürdigung verdient.)

Naturgemäß erreicht man diesen goldenen Schnitt aus den Spielregeln nicht jeden Tag. Einmal ist die Eigenstimmung zu depressiv. Dann schnappt wieder die klaustrophobische Falle des ganzen Landes zu. Ein andermal ist das Thema schon wieder vorbei, noch ehe man den ersten Satz geschrieben hat. Und das Publikum zu lieben, wenn man gerade von Teilen davon beflegelt worden ist, erfordert gutes Timing im Gefühlshaushalt.

Aber gegen all diese Widrigkeiten hilft verlässlich: Den Text mindestens einen Tag lang liegen lassen, ehe man ihn außer Haus oder ins Netz gibt. Die sozialen Medien würden schlagartig an Qualität gewinnen, wenn man erst nach einem Tag posten und wieder nach einem Tag reposten dürfte.

Hinter der Glossenschreiberei steckt freilich auch ein kleines Geheimnis. Jeder Autor muss sich selbst zwischendurch einen Einlauf von Gedanken geben, wenn er etwas produzieren will. Dieser Vorgang wird in der Medientheorie „Inputten“ genannt, eine überaus sportliche Tätigkeit.

Dabei tauchen Fragen auf wie:
Was kriege ich während einer Woche überhaupt mit?
Was kriege ich mit, wenn ich eine Weile im Spital liege?
Was kriege ich mit, wenn ich jeden Tag das gleiche lese oder höre?

Eine Strichliste der benützten Medien fördert oft ziemliche Einfalt zutage. Manche kommen gar mit den zwei Favoriten Einheitszeitung und Einheitssender aus, um sich ein vorgeblich umfassendes Bild über das Land zu machen. Andere verwechseln die Medien mit dem Navi und geben ein, wie sie auf schnellstem Weg das gewünschte Ziel, nämlich die vorgefasste Meinung, erreichen können.

Lesen, diskutieren, mit jemandem spazieren gehen gelten immer noch als verlässliche Einfüllstutzen, mit denen man inputten kann. Für Kolumnisten gibt es sogar einen Geheimzulieferer, nämlich die Glossen von anderen, die man durchaus lesen muss, wenn man sich ein Bild über sich selbst als Schreiber machen will.

Freilich regiert auch hier oft die alte Dichterweisheit: Das bisschen, das ich lese, schreibe ich mir selber!

An Glückstagen, wie etwa dem Todestag Andreas Hofers, genügt schon der Vergleich zweier patriotischer Aufsätze, um zu einem perfekten Einlauf für eine Glosse zu gelangen.

An diesem berüchtigten Todestag des Ober-Helden schreibt etwa der Standard über das Tirol-Bild, das allmählich bei der eigenen Bevölkerung ins Wanken gerät. (Tirol gegen den Rest der Welt). Dabei fällt ein Zitat von Elsbeth Wallnöfer: „Tirols Landespolitiker haben das Land ‚weltweit zur Lachnummer‘ gemacht. Indem sie ihr Land im Stile eines Volksschauspiels regieren, schaden sie ihm und tun ihm unrecht.“

Bei den in Fragmenten noch kritischen Zeitgenossen ist dieser Zustand unter „Felixismus“ subsumiert. Dabei schreibt einer Stückeln wie eine Regierungserklärung. Und die anderen inszenieren ihre Regierungsarbeit dafür als Passionsspiel.

Im Touristischen Tagblatt, wie die TT liebevoll genannt wird, beklagt sich an diesem heroischen Tag ein Kulturredakteur, dass beim großen Reigen von interessanten Theaterstücken, die während der Pandemie entstanden sind, das Tiroler Landestheater nicht vorkommt. (Theaterstücke im Fernsehen: Theaterreigen lässt Tirol außen vor). Dabei hätten sie gerade „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am Innsbrucker Rennweg auf Halde.

Also einmal österreichisch gedacht: Wen sollte auch nur ein Pixel aus dem Tiroler Landestheater interessieren, wenn das ganze Land im Souffleurkasten eines Schmierenstückes steckt?

Das hat die TT davon, dass sie außer über Felixismus nichts aus der Literaturszene berichtet. Die Leute in Österreich glauben inzwischen tatsächlich, dass es in Tirol keine Literatur, sondern nur Schifahren gibt. 

Schreibe einen Kommentar