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Helmuth Schönauer
Anti-Konsum-Hypnose
Stichpunkt

Als es noch kein Internet gab, musste das Wissen auf analoge Art ans Publikum gebracht werden. Damals gab es sogar den Beruf des Erwachsenenbildners. Diese spezielle Sorte von Pädagogenschaft hatte die Aufgabe, Erwachsenen lange nach ihrer Schulausbildung die wichtigsten Handgriffe zu vermitteln, wie man friktionsfrei durch das Leben surft.

Ein sehr erfolgreicher Baustein handelte vom Wohnen. Dabei konnte man lernen, wie man zu einer Wohnung kommt, wie man mit den bereits im Haus Wohnenden freundschaftlich umgeht, und wie man die eigene Wohnung so einrichtet, dass man ohne Gewalt mit den Familienmitgliedern eine Zeitlang ohne Polizeieinsatz auskommt.

Die Lage am Wohnungsmarkt war schon damals ziemlich zugespitzt, aber nicht, weil es zu wenig Wohnraum gab, sondern weil keine Psychologen um die Wege waren, welche die Wohngestörten hätten auffangen und auf die Couch betten können.

Die sogenannte Erwachsenenbildung musste sich strikt an das edle Sprichwort halten, das damals in Karl-May-Manier ziemlich unreflektiert zitiert wurde: „Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber nicht machen, dass es trinkt.“

Niemand wollte Wissen trinken. Und auch mit dem Wasser kam man nicht weit. Die klugen Tiroler wollten in Pferdemanier einfach keinen Durst entwickeln. Bei Kongressen wurde immer wieder festgestellt, dass der Lernwille in allen Bundesländern gering ausfiel, so dass es aus damaliger Sicht durchaus klug gewesen ist, die gesamte Erwachsenenbildung zuerst an die Wand zu fahren und später zu verschrotten.

Während der Pandemie bedauert es die Verwaltung inzwischen, dass es keine Erwachsenenbildung mehr gibt. Es fehlt jegliches Forum, wie man die Bevölkerung über Maßnahmen, Aussichten und Strategien zu bedrohlichen Themen informieren könnte. Die infantile Form der permanenten Pressekonferenz jedenfalls lässt niemanden mehr nach Wissen dürsten, selbst die Pferde scheuen, wenn sie beiläufig im Fiakereinsatz einen Regierungsvertreter sehen.

Ab und zu trifft man noch auf ältere Bewohner des Landes, die den einen oder anderen Kurs in der Erwachsenenbildung mitgemacht haben. Neben dem Wohnseminar, das allen lebenslänglich glückliches Wohnen gebracht hat, ist es vor allem die sogenannte Anti-Konsum-Hypnose, die noch nach Jahrzehnten wirkt.

Damals hatte niemand von uns Geld, sodass wir uns gegenseitig gratis hypnotisierten. Die Zauberformel hieß: „Wenn die uns keine Kohle geben, müssen sie sich ihren Scheiß selbst abkaufen!“

Mittlerweile jammert das halbe Land, dass der Konsum eingebrochen ist. Eine späte Folge der damaligen Hypnose. Bei manchen hat sie sogar so stark gewirkt, dass sie heute noch würgen müssen, wenn sie an einem Geschäft vorbeigehen.

Die Aufwachfloskel aus der Hypnose lautet übrigens: „Ich mache mir mein Geschäft selber!“

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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