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Franz Tschurtschenthaler
Südtirol ohne Maske
Sechster Brief

Liebe Leserinnen und Leser!

So, jetzt ist er da. Der 2. Lockdown. Der harte, richtige, nicht diese halbweichen Gschichten. Bei Ihnen in Tirol und ganz Österreich ab heute. Und schon seit Samstag, 00.00 Uhr, hier in Südtirol. Allerdings nicht in ganz Italien. Denn während wir hierzulande geschlossene Geschäfte und Lokale vorfinden und nur mit einer Eigenerklärung und aus gewichtigen Gründen außer Haus gehen dürfen, können unsere Artgenossen z.B. in Apulien und auf Sardinien noch weiter flanieren und shoppen. Dabei, wie der Lockdown in den vergangenen Monaten vonstattenging und jetzt geht, verfolgt Südtirol – wie schon beim 1. Lockdown – seinen eigenen Weg. Den Südtiroler Weg eben, eh klar! Der natürlich besser ist als alle anderen.

Im Frühjahr bedeutete er, dass Südtirol dank Landesgesetz etwas früher als die anderen italienischen Regionen wieder auftun konnte. Jetzt im Herbst allerdings sorgt dieser eigene Südtiroler Weg doch für zunehmende Verwirrung. Denn unabhängig von den Dekreten des Staates erlässt auch Landeshauptmann Arno Kompatscher gefühlt im Zweitages-Rhythmus neue Regeln: Eine Dringlichkeitsverordnung jagt die nächste, bei der die Daumenschraube immer stärker angesetzt wird und die Bevölkerung kaum mehr mitkommt, was denn nun noch erlaubt ist und was nicht.

Dass da der Ärger des einfachen Bürgers mitunter überschwappt, ist verständlich. Und nicht nur jener des einfachen Bürgers. Als jüngst in einer dieser Verordnungen – jener vom 8. November, glaube ich – stand, dass es in Privatwohnungen verboten sei, „neben den Mitbewohnern andere Personen zu empfangen, außer aus Arbeitsgründen oder in Situationen der Notwendigkeit”, platzte Handelskammerpräsident Michl Ebner der Kragen. Er schickte über den handelskammereigenen Presseapparat eine geharnischte Pressemitteilung nach außen mit dem Titel: „Hände weg von unseren Wohnungen – Artikel widerspricht der italienischen Verfassung”. Der Artikel 25 der Dringlichkeitsmaßnahme des Landeshauptmanns missachte die italienische Verfassung, Artikel 14.

Nun könnte man als unbedarfter Laie denken, da hat jemand nur einfach seine Meinung der Öffentlichkeit kundgetan. Weit gefehlt! Denn es ist in diesem Lande Allgemeingut und gehört zur Bildungsbasis des Südtiroler Durchschnittsbürgers, zu wissen, dass sich der Landeshauptmann und der Handelskammerpräsident nicht ganz grün sind. Letzterer steht gleichzeitig auch der Firmengruppe Athesia vor und ist Herr einer ganzen Palette von Medien, darunter auch der Tageszeitung „Dolomiten“, dessen Chefredakteur Michls Bruder Toni ist. (Nicht nur) Verschwörungstheoretiker munkeln, dass der Grund für diese mangelnden Sympathien zwischen den beiden Herren in der Tatsache liege, dass der Landeshauptmann einfach tue, was ihm für richtig erscheine, ohne sich um die Meinung der in Südtirol sehr mächtigen Familie Ebner zu scheren.

Artur Oberhofer, Chefredakteur der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“, der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung neben der „Dolomiten“, schrieb dazu in einer Analyse: „Mit Arno Kompatscher ist erstmals ein Landeshauptmann an der Macht, der sich traut, zu den Ebner-Brüdern Nein zu sagen. Dass er deswegen oft mit medialer Nichtbeachtung in den Athesia-Medien bestraft wird, nimmt der LH in Kauf.“ Denn er wisse, dass die Zeiten, wo sich eine Zeitung die (Volks)Partei gehalten habe, vorbei sind.

Tatsächlich kann auch der einfache Bürger feststellen, dass es nicht immer bei dieser „medialen Nichtbeachtung“ belassen wird; ab und zu gehen die „Ebner-Brüder“ auch in die Offensive, und der Landeshauptmann kriegt eine volle Breitseite ab. So geschehen vor einigen Wochen, als ein ominöser Schreiberling namens „krah“ (zum vorhin angesprochenen Südtiroler Allgemeingut gehört auch das Volkswissen, dass sich dahinter kein Geringerer als Chefredakteur Toni Ebner verbergen soll) in den „Dolomiten“ einen gesalzenen Kommentar über das Malheur abgab, das dem LH bei einem Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier passiert war: Ein Foto, das bei dessen sommerlichem Aufenthalt spontan geknipst wurde und an die Öffentlichkeit gelangte, zeigte alle Anwesenden samt Bundespräsidenten, Musikanten und LH ohne Maske. „Wasser predigen und Wein trinken“ nannte das der Herr „krah“, der sich übrigens nur zu Wort meldet, wenn es etwas ganz Wichtiges mitzuteilen gibt. Blattlinie sozusagen, sagt das Südtiroler Wochenmagazin „ff“: „Wenn der ‘krah’ schreibt, ist das eine Warnung. Der Versuch, die Macht zu bewahren oder gar auszubauen“. Ein Versuch, der in diesem Fall aber wohl eher nach hinten losging. Denn nicht nur die SVP stellte sich in einer Meldung auf ihrer Webseite hinter den Landeshauptmann, sondern auch die katholischen Verbände und Organisationen des Landes veröffentlichten in seltener Eintracht einen offenen Brief an Toni Ebner, in dem sie den krah´schen Kommentar wörtlich als „eine Tendenz zu sprachlichen Entgleisungen“ beklagten.

Wobei das in den vergangenen Monaten bereits das zweite Mal war, dass das schwarze Federvieh den LH verbal zusammengeputzt hatte. Als Kompatscher im August eine Breitseite gegen Lega-Chef Matteo Salvini abfeuerte und diesen in einem Interview mit der “Neuen Südtiroler Tageszeitung” als „Hassprediger mit Rosenkranz“ bezeichnete, war man bei der „Dolomiten“ offenbar nicht d’accord. „krah“ ließ umgehend wissen, dass diese Bezeichnung des Landeshauptmanns für Salvini „weit über das vernünftige Maß der politischen Dialektik hinausginge“. Kompatscher sei kein Brückenbauer, wie Luis Durnwalder es gewesen sei, sondern einer, der Brücken abbricht.

Nun ja – das mit dem „vernünftigen Maß“ der Wort- und Sprachwahl wurde dem „Krah-Vogel“ inzwischen wohl von der katholischen Phalanx um die Ohren gehauen… Auch wenn aller guten Dinge drei sind – hoffen wir mal, dass in Zeiten wie diesen auch das liebe Federvieh sich auf das Motto des Augenblicks besinnt: Zusammenhalten und Zusammenstehen wäre jetzt angesagt. Das ließ auch der LH jüngst in einer Botschaft an sein Volk wissen: „Halten wir zusammen …, damit wir aus dieser schwierigen Situation so schnell wie möglich herauskommen und wieder mehr Freiheiten haben!“. Sein Wort in „krahs“ Gehörgang und Schnabelgebrauch.

Ihr Franz Tschurtschthaler


krah-Vogel

Franz Tschurtschenthaler

Franz Josef Tschurtschenthaler wurde 1980 im Schweizer Kanton Appenzell Ausserrhoden geboren und studierte Agrarwirtschaft. Zunächst war er als Agronom in Hundwil tätig, bis ihn sein Schicksal ereilte und es ihn auf den Spuren seiner Urahnen nach Südtirol verschlug. Schuld war nicht etwa die Liebe, sondern ein sehr interessantes, wenn auch nicht wirklich lukratives Arbeitsangebot. Seither wirkt Tschurtschenthaler im Spannungsfeld zwischen Bozen, Kaltern und Meran, wo er bei seiner Arbeit viel Gelegenheit hat, die Seele und Gepflogenheiten der Südtiroler zu studieren. Wenn er nicht seinem studierten Beruf nachgeht, frönt er seinem Hobby – dem Verfassen von Kommentaren, bei denen er sich selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Selbstverständlich schreibt er genau deshalb unter Pseudonym, um dem Los seines Vorgängers im Geiste Carl Techet zu entgehen. Solange ihm dieses erspart bleibt, lebt Tschurtschenthaler mit Frau und Kindern irgendwo in Südtirol.

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