Print Friendly, PDF & Email

Franz Tschurtschenthaler
Südtirol ohne Maske
Siebter Brief

Corona! Das alles beherrschende Thema seit Monaten in den Medien, aber auch in jedem beruflichen und privaten Gespräch (“Hallo, wie geht’s? Positiv oder negativ?”). Eh klar, gerade hierzulande, wo wir soeben dank Feuerwehr, Weißem und Rotem und sonstwie farbigem Kreuz, Gemeinden u.ä. einen Massentest hinter uns gebracht haben, der – so scheint’s – ganz Südtirol vereint hat ob der Aussicht, dadurch bald wieder losgelassen zu werden auf die Shoppingcenter, Bars & Restaurants und Skipisten dieses Landes. Und nicht nur Landesvater Arno konnte stolz sein auf seine Mannen (und Weiberleut’ natürlich), sondern in diesem Stolz waren ebenso christlich vereint alle möglichen und unmöglichen Organisationen und Institutionen, egal ob sie nun mit der Testerei etwas zu tun hatten oder nicht. Im Glanz des Erfolges sonnt man sich halt gerne, das ist menschlich…

Beinahe wäre die Stimmung dann noch gekippt, als der Landeshauptmann in seiner, nennen wir es einmal „besonnenen“ Art gleich nach dem gelungenen völkischen Großaufgebot meinte, nun müsse man erst sehen, sich die Zahlen anschauen, mal abwarten, man wisse noch nicht genau… Ein Sturm der Entrüstung erhob sich, selbsternannte und echte Experten meldeten sich ungefragt zu Wort, “so net, Arno” wurde allenthalben in den sozialen Medien gepostet, und die Wirtschaftsverbände samt Handelskammer Bozen ergingen sich in mühsam fachlich verbrämten Aussendungen mit der gemeinsamen Message, dass es nun aber gefälligst wieder losgehen müsse, sonst…

Mit Erfolg. Der LH wartete das „Sonst“ nicht ab. Ein großer Teil der Wirtschaft startete wieder, also der gesamte Einzelhandel, während die Bevölkerung gemeinsam mit den Wirten und Hoteliers und “professionellen Körperpflegern” (was auch immer die so tun mögen) noch bis zum 4. Dezember darben muss. Da darf die erstere endlich wieder ohne die berühmte Eigenerklärung und ohne dringende und wichtige Gründe aus ihrer Wohnsitzgemeinde raus, und die letzteren dürfen wieder öffnen. Achja, fast hätte ich’s vergessen – und auch der Nikolaus darf laut Arno’scher Verordnung nun seine Runden ziehen, sofern er sich nicht von der Haus- bzw. Wohnungstür des beglückten Kindes wegbewegt und hygienischen Abstand hält. Gott sei Dank (oder besser Arno sei Dank), denn wie hätte ich das Nichterscheinen des Bärtigen heuer meinen Kindern erklärt? Damit, dass er aus einer roten Zone kommt und keinen Coronatest gemacht hat?

Na jedenfalls steht mit ein bisschen Glück und sehr viel Disziplin einem Weihnachtsfest in Freiheit nichts im Wege. Und da werden sie wieder alle zurück in die Hoamat strömen, die „Heimatfernen“, die von der Fremde aus in Richtung Südtirol schmachten müssen und dabei alle vor Heimweh fast umkommen. Denn das tun ALLE Südtiroler. Ausnahmslos, wage ich jetzt mal unverschämt zu behaupten.

Man sehe sich nur mal die Südtiroler Studenten an (natürlich meine ich auch die Südtiroler Studentinnen, aber dieses ständige Gendern macht das Lesen meiner Meinung nach doch recht mühsam, weshalb Sie mirbitte  verzeihen, wenn ich darauf verzichte). DI-DO-Studenten nennt man die an der „Mutteruni“ Innsbruck. Weil sie DI-enstags kommen – im Gepäck jede Menge einzig mögliche und richtige Nahrung, von vorgekochten „Sughi“ (Nudelsoßen), fabriziert von den „dolce manine“ (süßen Händchen) der Mama, über Tomaten-Dosen bis zu „Garofalo“-Nudeln (weil es so etwas im feindlichen Vaterland natürlich niemals zu kaufen gäbe), fein säuberlich verpackt in Tupperware-Dosen. Und weil sie DO-nnerstags, wenn alles aufgefuttert ist und kein sauberes Wäschestück mehr im Schrank ist, wieder heimfahren. Zu „ihre Leit“.

In der Zwischenzeit versuchen sie, Kontakte zu Nicht-Südtirolern tunlichst zu vermeiden, und ich rede hier NICHT von Coronazeiten. Denn der gemeine Südtiroler fühlt sich am wohlsten unter seinen Artgenossen und bleibt deshalb am liebsten unter sich – das dafür vorwiegend in Rudeln (zumal Studenten, aber nicht nur), nach dem Motto: Ein Südtiroler kommt selten allein. Diese angestrebte Artenreinheit erfolgt – so nehme ich an – wahrscheinlich allein schon aus sprachlichen Gründen, denn mit Nicht-Südtirolern müsste man, um verstanden zu werden, in hochdeutscher Sprache kommunizieren. Das gelingt dem durchschnittlichen Südtiroler aber meist eher leidlich, wie Sie bereits wissen, wenn Sie meinen Ausführungen bereits seit längerem folgen.

Nach Beendigung des Studiums kehrt der aus Lerngründen zwangsweise im Ausland weilende Südtiroler in der Regel stante pede wieder an seinen Ursprungsort zurück, vergleichbar dem „Salmo salar“, dem Atlantischen Lachs, der zum Laichen am Geburtsort oft Tausende von Kilometern zurücklegt. In der Heimat gründet dann auch der Student eine Familie, und die daraus entspringenden Kinder werden wieder in die Studienorte im nahen Ausland geschickt, wie es die Tradition verlangt – ein perfekter Kreislauf. Selbstverständlich nicht ohne die bereits erwähnten Rationen an Südtiroler Lebensmitteln. Denn wo kommen wir denn da hin, wenn man österreichische, deutsche oder gar schweizerische Nahrung zu sich nehmen müsste, wenn man doch selbst über die weltbeschtigschte Küche verfügt.

Aber auch wenn so ein Südtiroler sich nun dazu entschließt, einige Jahre im Ausland zu bleiben, weil dort die Arbeits- und Karrierechancen und die Verdienstmöglichkeiten bei weitem größer sind als in der Heimat, tut das der schwelenden Sehnsucht keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie scheint sich proportional zu den in der feindlichen Fremde verbrachten Jahren zu steigern. Zu akkumulieren. Um schließlich in eine Rückkehr ins Geburtstal, oft auch ins Geburtshaus zu münden. Heim in den Schoß der Familie halt, wobei im Falle auch die eigene, inzwischen erworbene zwangsbeglückt wird mit der Rückansiedelung dahoame.

Befeuert wird das Heimweh noch durch die italienischen Steuerbegünstigungen für Rückkehrer („lavoratori impatriati“), die kürzlich verlängert und angepasst wurden. Wer ab 2020 nach einem mindestens zweijährigen Auslandsaufenthalt nach Italien zurückkommt und dort für mindestens zwei Jahre ansässig bleibt, muss nur 30 Prozent seines Einkommens besteuern – die restlichen 70 Prozent sind steuerfrei. Einen Sonderbonus gibt es übrigens, wenn man mindestens drei minderjährige oder zu Lasten lebende Kinder hat – dann beträgt die Steuerbefreiung sogar 90 Prozent. Na, wenn das kein schlagendes Argument für kinderreiche Familien und vor allem fürs Heimkehren in die Südtiroler Berge ist? Und das natürlich nicht nur zu Weihnachten. Aber zunächst können wir hoffentlich einmal das feiern – möglichst coronafrei, so gut es halt geht.

Ihr Franz Tschurtschenthaler

Franz Tschurtschenthaler

Franz Josef Tschurtschenthaler wurde 1980 im Schweizer Kanton Appenzell Ausserrhoden geboren und studierte Agrarwirtschaft. Zunächst war er als Agronom in Hundwil tätig, bis ihn sein Schicksal ereilte und es ihn auf den Spuren seiner Urahnen nach Südtirol verschlug. Schuld war nicht etwa die Liebe, sondern ein sehr interessantes, wenn auch nicht wirklich lukratives Arbeitsangebot. Seither wirkt Tschurtschenthaler im Spannungsfeld zwischen Bozen, Kaltern und Meran, wo er bei seiner Arbeit viel Gelegenheit hat, die Seele und Gepflogenheiten der Südtiroler zu studieren. Wenn er nicht seinem studierten Beruf nachgeht, frönt er seinem Hobby – dem Verfassen von Kommentaren, bei denen er sich selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Selbstverständlich schreibt er genau deshalb unter Pseudonym, um dem Los seines Vorgängers im Geiste Carl Techet zu entgehen. Solange ihm dieses erspart bleibt, lebt Tschurtschenthaler mit Frau und Kindern irgendwo in Südtirol.

Schreibe einen Kommentar