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Elias Schneitter
Eine Platane in der Stadt

In normalen Zeiten (ohne C.) verbringe ich den überwiegenden Teil des Jahres in Wien und die restliche Zeit in meiner Heimat Tirol. Wenn ich in Wien bin, dann verkehre ich regelmäßig im Café Eiles in der Josefstädter Straße (angenehmes Ambiente, sympathisches Service, vorzügliches Zeitschriftenangebot).

Seit dem letzten Lockdown bin ich gezwungenermaßen in Tirol. Da habe ich einen ausführlichen Artikel über eine achtzigjährige Platane bei meinem Stammcafé Eiles entdeckt. Im Zuge des U5-Baues sollte dieser Baum gefällt werden. Um das zu verhindern, kamen die Wiener Linien in einem Gespräch mit Naturschützern vom Kuratorium Wald und dem Baumchirurgen Martin Sallner überein, die Platane zum Schmerlingplatz vor dem Justizpalast zu transferieren.

Diese Aktion wird jedoch nur möglich sein, weil der Baumchirurg Sallner die Kosten von einer halben Million für die Umsiedlung übernehmen wird. Der Anteil für die Steuerzahler soll sich in Grenzen halten. Er beläuft sich nur auf die Aufwendungen eines 130-Tonnen-Krans und eines Tiefladers für den Transport.

Als ich diese Meldung las, glaubte ich im ersten Moment an einen Aprilscherz. Aber sie entspricht der Wahrheit. Das befeuerte meine Vorurteile als Landmensch für die Stadtgrünen, die für mich einen viel zu romantischen Blick auf die Natur haben.

Die Natur ist für mich vieles, nur nicht romantisch. Im Gegenteil, sie ist gnadenlos. Darüber habe ich mit „Stadtmenschen“ schon viel diskutiert. Ich hätte diese Platane der Motorsäge geopfert und um einen Bruchteil der Überstellungskosten einige junge Bäume vor dem Justizpalast gepflanzt und nicht so ein Brimborium um die Eiles-Platane veranstaltet. Noch dazu fand ich die Begründung des Baumchirurgen lächerlich, der sagte, er wolle eine gute Tat setzen.

Wenige Tage später kamen mir die Platane, der gute Baumchirurg und der Tieflader wieder in den Sinn. Was war passiert? Dazu muss ich vorausschicken, dass ich im Land der Berge etwas exponiert wohne: in einer Hanglage am Waldrand.

Jedenfalls traute ich meinen Augen nicht, als ich vor einigen Tagen das Haus verlassen wollte und zahlreiche Bäume vom heftigen und nassen Schneefall umgerissen und kreuz und quer herumliegend vorfand. Zwei weitere mächtige Stämme neigten sich gefährlich über das Dach und drohten es jederzeit einzudrücken. Die Zufahrt war mit übereinanderliegenden Fichten und Föhren ebenfalls unpassierbar. Ich musste wirklich ausgezeichnet geschlafen haben, denn ich hatte nichts von der Katastrophe mitbekommen. Nach einer ersten Schockstarre kam mir die Platane vor dem Café Eiles in den Sinn. Da hatte mir doch die „romantische“ Natur gerade übel mitgespielt. Vielleicht, weil ich mich allzu gern über die romantischen Stadtgrünen lustig mache.

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Clemens

    Danke für diesen Artikel! Nach Ansicht der Kurzreportage auf standard.at dacht ich, nur ich wär so unsensibel. Aber vermutlich liegt’s wirklich an der Herkunft (Mühlviertel), der Waldnähe und dem jährlichen „Maibaumschlachten“, das bei derartigen Aktionen ungläubiges Kopfschütteln bei mir auslöst. Haben wir denn keine anderen Probleme? Von mir aus verteilt das Geld an Obdachlose und schenkts ihnen das Holz zum einheizen.

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