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Egyd Gstättner
Selbstsegnung des Zeitlichen
Essay

Es ist viele Jahre her, dass der Schauspieler und Sänger Ludwig Hirsch Selbstmord begangen hat, indem er im Krankenhaus aus dem Fenster seines Zimmers im fünften Stock gesprungen ist, weil er unheilbar krank seine grässlichen Schmerzen nicht mehr ertragen konnte und ihm niemand dabei helfen konnte, wollte, durfte, das Unerträgliche loszuwerden und das unvermeidliche Ende in Würde selbst zu bestimmen.

Damals schon habe ich in dieser kontroversiellen Debatte publizistisch für aktive Sterbehilfe plädiert. Und es ist auch die heikelste aller Fragen – vor allem für die Angehörigen: Welcher Gatte will jemals die geliebte Gattin (und umgekehrt) verlieren? Welcher Sohn, welche Tochter jemals den geliebten Vater, die geliebte Mutter? Aber wollen sie ihren Liebsten umgekehrt das aussichtslose, unzumutbare Martyrium aufbürden, das die Gequälten selbst unzumutbar nennen? Wie viele haben nach Ludwig Hirsch „schlecht sterben“ (Thomas Mann) und ihre gesetzliche Martyriumspflicht erfüllen, ihren Martyriumszwang erdulden müssen!

Aber anderen – völlig einerlei, ob jung oder alt, krank oder gesund – eine Existenzpflicht vorzuschreiben, ist ungeheuerlich! Mein Sterben gehört mir! Basta! Ich will Herr über meinen Tod sein, nicht umgekehrt!

Vor dem mutigen Erkenntnis des deutschen Verfassungsgerichtshofs muss man sich verbeugen: Sein Ende warum auch immer selbst zu bestimmen, ist ein Menschenrecht! Sich professionelle Hilfe zu besorgen: Ebenso! Es rettet uns im Endstadium kein höheres Wesen. Um das zu wissen, muss man gar kein Parteisoldat sein und keinen Kadavergehorsam leisten. Kein Staat und kein Gott hat ein Recht auf mein Leben! Und ich bin als Österreicher froh, inzwischen sagen zu können, dass auch der österreichische Verfassungsgerichtshof nicht wesentlich anders als der deutsche entschieden hat. Und ich weiß, dass viele so denken wie ich und nicht auf hohle Phrasen von anmaßenden, weltfremden Dogmatikern hereinfallen!

Dazu zwei Postscripta:
Der Verweis auf die Euthanasieverbrechen der Nazis geht ins Leere: Euthanasie hat nichts mit Selbstbestimmung zu tun! Und wenn man ein Gesetz ablehnt mit dem Argument, es könnte verletzt oder missbraucht werden – ja dann bräuchte man gar keine Gesetze mehr!

Und: Die derzeitige Situation des Sterbenwollenden ist, dass er sich tatsächlich zunächst suizidieren (erschießen, aufhängen, Pulsadern aufschlitzen, aus dem Fenster springen, am Asphalt zerschellen, von der ÖBB zerquetschen lassen) muss, um so drastisch zu beweisen, dass es ihm ernst war und er wirklich ein Fall für die humane Sterbehilfe gewesen wäre: für das friedliche und mindestens schmerzlose Einschlafen! Aber: erstens zu spät, zweitens bis 31. 12. 2021 noch immer verboten. Welche Staatsbarbarei!

Ich möchte weder „an der Hand“, noch „durch die Hand“ eines anderen sterben – Hände weg! -, sondern durch meine eigene Hand, die aber keine Waffe, sondern eine Finalkapsel oder Paradiespille oder ein Glas Zaubertrank hält, der einen schmerzlosen, gewaltfreien, selbstgemachten Tod verursacht.

Diese Utensilien möchte ich (samt Beipackzettel und Gebrauchsanleitung) kaufen dürfen. Und selbst wenn ich dafür keine medizinischen, sondern philosophische oder persönliche Gründe habe: Ich werde mir dafür von keiner Kommission der Welt „grünes Licht“ geben lassen, wenn ich heim zu Friedell, Zweig, Améry, Marai, Kleist, Hemingway und vielen anderen gehen will. Das ist meine Sache.

Uns aus dem Elend zu befreien, können wir nur selber tun. Selbsttod statt Selbstmord. Legales Selbsteinschlafen statt illegalem Selbstgemetzel. Oder ich sage es noch poetischer: Selbstsegnung des Zeitlichen! Ich möchte, wenn es soweit ist, eine schöne Leiche hinterlassen. Und einen schönen Leichnam.

Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Rainer Haselberger

    Danke für die klaren Worte! Dem ist nichts hinzuzufügen.

  2. Helma Hein

    Es ist die heuchlerische, anmaßende Bevormundung der politischen Verhinderer (wie in Deutschland jetzt der dümmliche Herr Spahn), die nicht zulassen, dass außer Tierärzten der freie Zugang zu dem friedlichen Einschlafmittel Pentobarbital gewährt wird. Das bringt einen so in Zorn, dass man all diese Herren am liebsten zum Teufel jagen würde.

  3. Elke Liebs

    Ich schließe mich allen Vorrednern bzw. Schreibern und Schreiberinnen an. Vor allem anderen ist zu verurteilen, wenn namens einer Religion, die einem nicht glaubwürdig erscheint und die man nicht teilt, vorgeschrieben wird, was man am Ende zu tun hat, damit Politiker sich gut und human fühlen. Diese Heuchelei ist abstoßend und vollkommen unglaubwürdig – Sokrates und Seneca und so viele andere (schon genannte) haben es besser gewusst. Zu schweigen von der unerträglichen Arroganz, ein gültiges und bewundernswertes Urteil des BVG mit Bankerverstand verschlimmbessern zu wollen.
    Prof. Dr. Elke Liebs

  4. Christine Kiesenhofer

    Komm, großer schwarzer Vogel… ich hab dir Zucker aufs Fensterbrett gestreut… ein berührendes Lied von Ludwig Hirsch. Ja, ich möchte den großen schwarzen Vogel selbst rufen dürfen, wenn ich nicht mehr kann oder will; jeder Mensch soll das Recht zur Entscheidung über sein eigenes Leben haben – wie immer die dann aussieht. Ich wünsche niemand, dass er sich auf grausame Weise suizidieren muss, weil ihn andere Möglichkeiten bisher verwehrt waren.

  5. Martin Kämmerer

    Jedes Tier, das man gern hat, lässt man friedlich einschläfern, um es von
    seinen Qualen und Leiden zu erlösen. Es ist menschenverachtend, dies einem
    Menschen zu verweigern.

  6. Michael Stitzel

    Ein großartiger Text, vielen Dank. In der Sache sind wir völlig einer Meinung. In dem Gedankengang und in den Formulierungen ist der in der öffentlichen Diskussion auch von Befürworten kaum zu hörende bzw. zu lesende positive Ansatz (Zaubertrank, Paradiespille etc.) bemerkenswert. So möchte ich auch meinen Tod erleben, als einen friedlichen und guten Abschluss eines guten Lebens, und ich hoffe, dass das nach dem Verfassungsgerichtshofurteil auch bald möglich sein wird.

  7. Petra Sommer

    Ich beschäftige mich erst seit Kurzem mit diesem Thema..eine Freundin und Mitbewohnerin hat sich wohlüberlegt und gut organisiert, aber eben doch heimlich und auf sich allein gestellt das Leben genommen. Ich halte ihre Entscheidung für absolut respektabel, hätte vielen im Umfeld aber gerne den Schock/das Trauma erspart, das die Umstände mit sich brachten: die armen Spaziergänger, die sie fanden. Die Familie, die Freunde und wir Mitbewohner erfahren durch die Kripo davon. Und vor allem hätte ich ihr gerne den schrecklichen Zwang zur Geheimhaltung bei dieser eh schon schwerstwiegenden Tat erspart.

  8. Dr. Gerhard Tucek

    Egyd Gstättner ist einer der klügsten Philosophen, die dieses Land hervorgebracht hat. Hochachtung!

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