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Andreas Braun
Das politische Handwerk leidet Not!
Eine Frühwarnung

Vor dem Hintergrund einer Rekordarbeitslosenzahl von annähernd einer halben Million Menschen intervenieren UnternehmerInnen verzweifelt bei Asylbehörden, dass ihnen tüchtige Lehrlinge nicht abgeschoben werden. Sogar die Regierung interveniert international, weil „alternativlos“ Erntehelfer und Pflegepersonal eingeflogen werden müssen. Einzelhändler schließen ihre Ladentüren, während DHL-Kleinbusse mit prekaristisch beschäftigten Fahrern selbst die schmalsten Bergstraßen verstopfen: Exemplarische Schlaglichter auf strukturelle Immunschwächen unserer Gesellschaft, die das/der verdammte Virus unbarmherziger als zuvor offenlegt.

Apropos Immunschwäche: Wie steht es eigentlich um das Handwerk der politischen Verwaltung? Jüngste administrative Pannen und Umfragen bestätigen einen wachsenden Vertrauensverlust in dasselbe und legen die Frage nahe, welchen Umständen diese Situation geschuldet ist?

Die erste offenkundige Ursache erodierenden Vertrauens in unsere Hoheitsverwaltung erleben wir täglich. Den Getränke- und Fastfood Konzernen gleich trommeln unsere politischen Handwerker ihre Botschaften: Je dürftiger der Inhalt, desto glänzender die Verpackung, je nebensächlicher das Problem, desto penetranter das Getöse der Ankündigung der Ankündigung von weiteren Ankündigungen. Stets fehlt fundierte Sachkenntnis, dafür vernebelt die heiße Luft der Pseudo-Informationen die Hirne der Adressaten und blockiert die neuronalen Netze substantiellen Nachdenkens.

Es wäre in meiner Zeit der Verwaltungsjuristerei vor über 40 Jahren denkunmöglich gewesen, dass sich des Lesens und Schreibens kundige Politiker als Spitzenmanager des öffentlichen Wohles teure Söldnerscharen von Stabsstellen, Public-Relation-Leute, Think Tanks, Spindoktoren und Experten zum Zwecke des persönlichen, eben dargestellten Marketings parallel zur eigenen Belegschaft anheuern. Durch diesen Entzug traditionellen Vertrauens missachten sie das enorme Welt-Sach-Wissen ihrer eigenen Beamten/Mitarbeiter, demotivieren dieselben und drängen sie in den vorzeitigen sogenannten „Ruhe-Genuss“. Der immense menschliche und volkswirtschaftliche Schaden liegt auf der Hand.

Gottseidank gibt es auch hier ein Fünkchen Hoffnung: der pragmatische Bürgermeister Michael Ludwig und seine Parteimanagerin Barbara Novak haben kürzlich rasch Spindoktoren und teure Experten „eliminiert“. Chapeau! Dem Herrn Kurz zur Nachahmung empfohlen.

Auch mit einem zweiten Umstand, der das Vertrauen in das staatliche Handeln nachhaltig erschüttert, sind wir in unserem täglichen privaten und beruflichen Umfeld konfrontiert: nämlich dem Phänomen des „Lebenszwerges“ ( Copyright Claus Peymann ). Lebenszwerge versuchen immer alles richtig zu machen, ohne sich darum zu scheren, das Richtige umzusetzen. Sie minimieren maximal ihr Denk- und Handlungsrisiko, indem sie etwa ihre persönliche Verantwortung mittels cc kreisen lassen oder „sounding boards“ installieren. Kommentieren ersetzt Agieren. Diese generelle Tendenz absoluter Fehlervermeidung wurde in der öffentlichen Verwaltung noch durch die inflationäre Normierung sämtlicher Lebensbereiche sowie durch die gänzliche Einschränkung des Spielraumes freien Ermessens der entscheidenden Organwalter verstärkt: so schrumpften auch die Handwerker der öffentlichen Daseinsvorsorge zu „Lebenszwergen“. LehrerInnen, RichterInnen, ÄrztInnen, PflegerInnen, VerwaltungsbeamtInnen werden in immer engere Korsette sogenannter Prozesse eingeschnürt bzw. den ganzen Tag in Atem gehalten, zu dokumentieren, nur ja nichts falsch gemacht zu haben!

Staatliches, auf gesetzlichen Normen beruhendes Handwerken kommt bekanntlich zu spät: Die Norm hetzt immer noch zum Leidwesen all jener, die dem Phantom der 100%-Sicherheit nacheifern, den Fakten des Lebens nach. Dieses ist gewissermaßen noch ungeglättet. Doch vielleicht nicht mehr lange, da das chinesische Überwachungssystem ( digital social credit system ) die erfolgreiche Synchronisation von Norm und Leben verspricht. Auch hierzulande gewinnen spezifische Überwachungen angesichts ständig wachsender Datenmengen und einer – Tiefenschärfe, Zusammenhänge und Unterscheidungen ignorierenden – Ideologie euphorischer Digitalisierung zunehmend an Attraktivität. Es wäre doch gelacht, wenn man durch kalkuliertes Schüren immer neuer Ängste und dem Versprechen totaler „Convenience“ die Risiken des Lebens und das selbstständige Denken der Menschen nicht in den Griff bekäme! Eine perfekte „transhumanistische“, durch Roboter gesteuerte öffentliche Verwaltung lässt grüßen?

Mitnichten, wenn die politischen Handwerker aus ihrem zukunftsvergessenen Schlaf erwachen und den Mut zum Anders-Denken fassen würden!

Andreas Braun

Dr. Andreas Braun, geb.12.4.1946 in Kitzbühel. Von 1969 bis 1982 als Verwaltungs- und Verfassungsjurist im öffentlichen Dienst tätig. Ab 1982 Leiter der Tirol Werbung; in dieser Funktion setzte Braun eine Reihe innovatorischer Akzente, von der Bildsprache bis zur digitalen touristischen Vernetzung (Gründung der TIS Ges.m.b.H). Anfang 1995 wechselte Braun als Kommunikationsmanager zur Swarovski-Gruppe. Als erste Initiative gelang es ihm, die "Swarovski Kristallwelten" als neues Pilotprojekt einer Verschmelzung von Industrie, Tourismus und Kultur erfolgreich kommerziell und kommunikativ zu positionieren sowie eine neue Unternehmensidentität für einen traditionellen Industriebetrieb zu formen. Die Swarovski Kristallwelten sind das erfolgreichste Modell eines sogenannten „third place“ in Europa und rangieren nach Schönbrunn als eine der bestbesuchten Attraktionen Österreichs. Braun ist bis Ende 2011 Geschäftsführer der d. swarovski tourism services gmbh, die neben den Swarovski Kristallwelten und Swarovski Innsbruck auch Swarovski Wien betreibt. Von Anfang 2012 bis Ende 2015 ist Braun Geschäftsführer der Destination Wattens Regionalentwicklung Gmbh (u.a. Konzeption der „Werkstätte Wattens“). Vielseitige internationale Vortragstätigkeit und essayistische Beiträge zu Kultur, Wirtschaft und Tourismus in diversen Medien.

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