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Alois Schöpf
Beiträge zum Thema Liberalisierung der Sterbehilfe in
"Kleine Zeitung", "Die Presse", "Der Standard"

„Kleine Zeitung“ vom 20.09.2020
Warten auf die Richter

Alle Menschen sterben. Vier Prozent fallen um und sind tot, sodass die Hinterbliebenen sagen: Es ist zwar schrecklich, aber für ihn war es ein guter Tod! Denn viele müssen leiden. Viele erdulden dieses Leiden, weil sie noch jede Minute des Lebens auskosten wollen. Oder weil eine Religion oder eine Weltanschauung es ihnen verbietet, selbst das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und weiteres Leid durch den Freitod zu beenden.

Inwieweit durch einen solchen Freitod die göttliche, moralische oder gesellschaftliche Ordnung in Gefahr gebracht wird, und inwieweit ein Mensch klug oder feige handelt, wenn er sich einem Leiden entzieht, dass er nicht mehr ertragen möchte, ist schon seit Jahrhunderten Gegenstand kontroverser Debatten. Stets steht im Zentrum die Frage, wer über das Leben bestimmt. Ein Gott, der es angeblich stiftet und dessen Verwalter der Mensch nur ist. Oder derjenige, der es lebt und zuweilen leben muss, weshalb er es auch beenden können sollte.

Für all jene, für die die Autonomie des Einzelnen und die Verfügungsgewalt über sich selbst eines der höchsten Güter und Menschenrechte ist, ist es geradezu betrüblich, das Essay „Über den Freitod“ des vor 309 Jahren geborenen Philosophen David Hume zu lesen und feststellen zu müssen, dass sich an den Argumenten nichts geändert hat. Und ebenso ist es betrüblich, feststellen zu müssen, dass unsere politischen Eliten die panische Angst zu haben scheinen, durch eine klare Stellungnahme zur Frage des Freitodes und der Beihilfe zum Suizid in ihren Anbiederungsversuchen gegenüber Wählergruppen beeinträchtigt zu werden, weshalb sie eine Entscheidung den Gerichten überlassen.

Alle Befürworter einer Liberalisierung der Sterbehilfegesetze können nur hoffen, dass der ausführlich argumentierte Entscheid des Deutschen Bundesverfassungsgerichtshofes vom Februar dieses Jahres auch unsere österreichischen Richter, welche die Arbeit unserer feigen Politiker zu erledigen haben, zu einem eindeutigen und liberalen Richterspruch bewegt.

Ein Richterspruch, der es freien Bürgern ermöglicht, frei über Art und Zeitpunkt ihres Lebensendes zu entscheiden, wie es der Europäische Menschenrechtsgerichtshof bereits im Jahre 2011 als unveräußerliches Menschenrecht definiert hat.

Niemand soll und darf gezwungen werden, sich selbst zu töten, wenn er es nicht will oder aus ethischen Gründen ablehnt. Aber auch niemand soll gezwungen werden, ein übergroßes Leiden weiter zu ertragen, nur um damit der totalitären Ideologie anderer zu dienen.


„Die Presse“ von 24.09.2020
Verhinderbares Leid nicht zu verhindern, ist moralisch verwerflich
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Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam. Dafür ist die Argumentation Oberster Gerichte meist konsistent. Dies führte im Februar dieses Jahres zu einem 120-seitigen Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts, in dem das Verbot professioneller Sterbehilfe aufgehoben und das Menschenrecht festgeschrieben wird, Art und Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen. Diesem Spruch der deutschen Richterschaft liegt zweifelsfrei auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. Januar 2011 „Haas gegen die Schweiz“ zugrunde, in dem ebenfalls festgehalten wird, dass es das unveräußerliche Recht eines Individuums ist, Art und Zeitpunkt des Lebensendes selbst zu bestimmen.

Nun liegt es dieser Tage an den Richterinnen und Richtern des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, darüber zu bestimmen, ob auch in unserem durch die schönen Klänge und Riten der Gegenreformation ethisch geschädigten Land endlich der Geist der Autonomie und Liberalität einziehen kann.

Das animistische Dogma, Gott hauche eine Seele ein und entziehe sie wieder, weshalb der Mensch nicht der Eigentümer, sondern nur der Verwalter des Lebens sei (Katechismus 2280), aber auch der geradezu lächerliche Verweis auf den fast 2500 Jahre alten hippokratischen Eid verhinderten bislang jede dem aktuellen Stand des Wissens gemäße Diskussion. Ganz im Gegensatz zu immer mehr fortschrittlichen Staaten, in denen wie in der Schweiz, in den Niederlanden oder in Belgien eine liberale Gesetzgebung aktive Sterbehilfe erlaubt. Auch darf hierzulande der Selbstbetrug nicht angezweifelt werden, die Probleme des Lebensendes seien durch die Monopolstellung der im Rahmen der Caritas agierenden Hospizbewegung, deren Leistungen im Übrigen noch lange nicht allen Österreichern zugutekommen, gelöst. Denn auch die beste Palliativmedizin kann in vielen Fällen unerträgliches Leiden nicht verhindern, wobei selbst dann, wenn dies möglich wäre, die Frage der persönlichen Freiheit, ob sich jemand dem von vielen als demütigend empfundenen Sterbevorgang überhaupt unterziehen möchte, weiterhin unbeantwortet bleibt.

Um nicht zur Kenntnis zu nehmen, wie totalitär und menschenverachtend diese Denkverweigerung in Sachen aktive Sterbehilfe ist, werden übrigens in regelmäßigen Abständen Schauergeschichten von ihrem Missbrauch lanciert, die bei genauerer Recherche vor Ort auf eine meist völlig verkürzte Darstellung hinauslaufen. Nicht nur den heimischen Politikern, sondern auch der heimischen Ärzteschaft ist das Problem äußerst unangenehm, kollidieren doch in ihm, neben dem schon von Immanuel Kant diagnostizierten Phänomen von Faulheit und Feigheit, durch die Kindstaufe bedingte frühkindliche religiöse Indoktrination mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Tatsache bleibt jedenfalls, dass etwa in den liberalen Niederlanden über 6500 Personen pro Jahr aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen und dort selbst konservative Regierungen nicht daran denken, an dieser Regelung etwas zu ändern. Auf Österreich umgerechnet bedeutet dies, dass durch weltanschaulichen Totalitarismus jährlich über dreitausend Personen das Recht verwehrt wird, ihr Lebensende selbst zu bestimmen.

Womit die Frage bleibt: Ist es nicht zutiefst beschämend für einen Staat, seine feigen Politiker und opportunistischen Ärzte, wenn Bürger ins Ausland flüchten müssen, um ihre Menschenwürde vor der Inhumanität der Gesetzgebung und des Gesundheitssystems zu retten?


“Der Standard” vom 24.09.2020
Im Geist der Selbstbestimmung

Der Philosoph David Hume wurde 1711 geboren. Sein Essay „Of Suicide“ („Über den Freitod“, Reclam 19471) erschien im Jahre 1777. Darin beantwortet er knapp und überzeugend die Fragen, ob jemand, der sich selbst tötet, gegen die göttliche und moralische Ordnung verstoße und die Gesellschaft schädige. Er verneint dreifach mit Argumenten, an denen sich bis heute, fast 250 Jahre später, nichts geändert hat. Dies ist vor allem deshalb deprimierend, weil in dieser langen Zeit trotz der Erkenntnis des bedeutendsten Vertreters der schottischen Aufklärung und seiner Nachfolger Tausende von verzweifelten Menschen gezwungen waren, grausam an sich selbst eine Handlung zu vollziehen, da sie ihr Leiden, abseits manifester und heute oftmals therapierbarer psychischer Krankheiten, nicht mehr ertragen wollten oder konnten. Eine Handlung, die, sofern sie in einer freien Gesellschaft das Ergebnis rationaler Überlegungen ist, von Hume als klug und mutig eingeschätzt wird.

Ganz in diesem Geist einer auf das Selbstbestimmungsrecht der Person abzielenden Aufklärung ist auch das Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom Februar dieses Jahres abgefasst. In ihm wird das 2015 in Deutschland eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe als verfassungswidrig erkannt und höchstrichterlich das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ bestätigt. Man kann nur hoffen, dass eine solch liberale Entwicklung in unserem Nachbarland auch hierzulande eine bedrückende Geschichte beendet, die davon gekennzeichnet ist, dass die Erkenntnisse der europäischen Aufklärung an unserem durch die Gegenreformation ethisch zurückgebliebenen Land erfolgreich vorübergingen. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat jedenfalls für diese Tage seine Entscheidung aufgrund einer Individualklage über die §77 und §78 StGB, „Tötung auf Verlangen“ und „Beihilfe zum Selbstmord“ angekündigt.

Es versteht sich, dass die katholische Kirche, auf deren totalitäre Dogmatik der politisch einflussreichste Widerstand gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe zurückzuführen ist, sich angesichts solch drohender Entwicklungen schon im Vorfeld mächtig Gehör zu verschaffen versuchte. Da eine religiös fundierte Ablehnung der Liberalisierung der Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid, vergleichbar den kirchlichen Einlassungen zur Sexualmoral, auf Unverständnis in der Öffentlichkeit stoßen würde, wurde und wird in den meisten Stellungnahmen das entscheidende Argument, dass Gott der Eigentümer des Lebens und der Mensch nur sein Verwalter sei (Katechismus 2280), bewusst unterschlagen. An die Stelle des animistischen Glaubens, die Seele werde eingehaucht und beim Tode wieder abgezogen, werden in Verdrehung der Faktenlage vielmehr Schauermärchen lanciert, Statistiken falsch interpretiert und statt auf Argumente wird auf Marketingsprüche gesetzt.

Was die Schauermärchen betrifft, so darf der drohende Begriff des „Dammbruchs“ nicht fehlen, wonach eine Liberalisierung der Sterbehilfe zur Folge hätte, dass Alte und Kranke dazu überredet würden, sich von kommerziellen Unternehmen umbringen zu lassen. Dass solche Unterstellungen in all jenen Ländern, die seit Jahren über liberale Sterbehilfegesetze verfügen, in keiner Weise der Realität entsprechen, ist umso ungeheuerlicher, als hier von Rechtsstaaten wie der Schweiz, den Niederlanden oder Belgien behauptet wird, sie würden Massenmorde dulden.

Eine weitere Behauptung kirchenaffiner Sterbehilfegegner lautet, dass durch eine Liberalisierung die Selbstmordraten unweigerlich in die Höhe schnellen würden. Tatsache ist vielmehr, dass „erfolgreichen“ Suiziden meist missglückte Suizide mit tragischen Folgen im Verhältnis von zumindest 1:9 gegenüberstehen. Vor diesem Hintergrund legt die schweizerische Sterbehilfevereinigung „Dignitas“ denn auch ihr Hauptaugenmerk auf Suizidversuchsprävention, die allerdings nur gelingen kann, wenn durch liberale Gesetze suizidales Denken enttabuisiert wird und die Möglichkeit eines offenen Gesprächs gegeben ist.

Liberale Sterbehilfegesetze vermindern also „geglückte“, vor allem aber auch missglückte Selbsttötungsversuche samt ihrer enormen Folgekosten auch für unfreiwillig Beteiligte, wie etwa Lokführer, die nicht selten zu unfreiwilligen Vollzugsorganen solch grausamer Selbsttötungen werden. Vor diesem Hintergrund ist es eine schäbige Umdeutung von Statistiken, wenn dem autonomen Handeln von Bürgern, die Art und Zeitpunkt ihres Lebensendes selbst zu bestimmen, durch definitorische Tricks steigende Selbstmordraten zugerechnet werden.

Bleibt zuletzt der Spruch, „Der Mensch möge nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen Menschen sterben.“ Hier wird mit Marketing christliche Nächstenliebe suggeriert und die entscheidende Frage ausgeblendet: Wie entscheiden sich die Betroffenen selbst? Soll eine professionelle Palliativmedizin zum Einsatz kommen, die übrigens noch lange nicht allen Österreichern zur Verfügung steht? Oder sollte die Hilfe darin bestehen, im Rahmen eines dokumentierten Entscheidungsprozesses einen sanften Tod zum selbst gewählten Zeitpunkt mit ärztlichem Beistand herbeizuführen? Beides ist Liebe und Dienst am Nächsten! Und wer darf entscheiden, welche Art gewählt wird? Es kann doch nur der oder die sein, den oder die es betrifft!

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Kurt Grünewald

    Wird man mit dem Leben beschenkt, geht ein Geschenk (wie immer) in die Verfügungsgewalt des Beschenkten über. Mit Euthanasie im Dritten Reich ist das nicht zu vergleichen, da diese ja nicht von den Betroffenen und ihren Angehörten gewünscht und erbeten wurde. Dieser Vergleich ist unlauter und verhindert eine sachliche Diskussion seit Jahrzehnten.
    Dass bei einem assistierten Suizid, von Seiten der Kirche Sakramente und Beichte und sonst noch was verwehrt werden, ist zynisch, unbarmherzig und unfassbar. Früher durften Menschen, die sich töteten, nicht in der „heiligen“ Erde begraben werden. Nach Jahrzehnten kam ein Hauch der Milde und man erklärte alle als unzurechnungsfähig aufgrund schwerer psychiatrischer Erkrankungung, die post mortem diagnostiziert wurde. Eigentlich alles „ein wenig “ grotesk!
    Und noch etwas: Außerhalb von schwersten Erkrankungen gibt es durchaus andere Probleme: Wenn ein 16-Jähriger nach einem Unfall eine hohe Querschnittslähmung erleidet und dies 40 Jahre lang oder länger erduldet, wenn ein Anderer sich nach einem Schlaganfall nicht mehr mit der Umwelt und seinen Vertrauten verständigen kann, weil er ihre Sprache nicht mehr versteht und selbst die Sprache verloren hat, dann kann diesen Menschen durchaus ein unerträgliches Leiden zugestanden werden. Als ich vor Jahren Michael Landau, den ich durchaus sehr schätze, auf meine Aussage, dass ein hoher Querschnitt den Betroffenen nicht einmal erlaubt, eine Fliege auf seiner Nase zu verscheuche,n war seine Antwort:“Dann haben sie und die Gesellschaft dafür zu sorgen, dass dies nicht passiert“. Die Unmöglichkeit das zu schaffen, gibt der Antwort kein Gewicht im Realem.
    Wir erleben das Sterben und den Tod nur bei anderen. Wir urteilen als Fremde über nicht Erlebtes und sollten hier nicht die Richter spielen.
    Eines aber stimmt, wenn die Kranken, Trauernden, Verzweifelten und Leidenden wissen, dass ein assistierter Suizid möglich ist, erfahren sie dies als ungeheure Erleichterung und gewinnen an Vertrauen, was wiederum
    dazu führen kann, dem Tod (diesem oder jenem) leichter zu begegnen.
    ao.Univ. Prof. Dr. med. Kurt Grünewald

    Zusatz: Ich gehe nicht (!!!!!) davon aus, dass das alle mit hohem Querschnitt wollen. Verständnis habe ich aber, wenn das Einzelne wollen.

  2. Günter Egger

    Lieber Alois !
    Wir gratulieren Dir zu Deinem famosen Plädoyer für Deine Sache !
    Wir finden den Aufbau taktisch hervorragend durchdacht, indem Du erst einmal auf VfGh – Urteile aus den für uns besonders wichtigen deutschsprachigen Nachbarländern verweist, womit bereits unbestreitbare Fakten für Dein Anliegen geschaffen werden. Dadurch läßt sich auch dem Seitenhieb auf das „ethisch geschädigte“ , daher rückständige Land wenig entgegenhalten. Die animistische Begründung, daß wir nach Kirchenlehre eben nicht Eigentümer unseres eigenen Seins sind, ist natürlich starker Tobak, fordert aber den von Dir erwünschten Widerspruch geradezu heraus. Der Verweis der Gegenseite auf die funktionierende Palliativmedizin geht natürlich ins Leere, weil Palliativbetreuung und die Frage zu Aktiver Sterbehilfe nichts miteinander zu tun haben.
    Noch einmal wird der Konflikt zwischen heutzutage primär dem wissenschaftlichen Denken verpflichteten Arzt und der christlich geprägten Kultur aufgezeigt: der Verstand fordert, was der eben in allem bei uns mitschwingende katholische Glaube verneint.
    Ein interessantes Argument von Lewisch ist die These (Untersuchung kenne ich keine), daß die Midlife-Crisis wohl aus einem „Burn out“ heraus einen Lebensüberdruss hervorbringt, wodurch der zwischen 40 und 50 (nur scheinbar Lebensmüde) das überall und jederzeit greifbare Todeszuckerl schluckt; obwohl er, hätte er nur einige Jahre gewartet, wieder durchaus Geschmack am „physischen Leben“ gefunden hätte.
    Das ist für uns das stärkste Argument von Lewisch, das eine grundsätzliche bedingungslose Aktive Sterbehilfe in Frage stellt. Es resultiert natürlich aus dem Miterleben der Biographie von Christine, weil wir uns doch immer wieder mit der Frage konfrontiert sehen, was wäre gewesen, wenn sie noch „etwas“ gewartet hätte?
    Zurück zu Lewisch: den Hinweis auf funktionierende Palliativmedizin können wir nicht gelten lassen, weil ich ja auch in der Palliativ-Situation von der Möglichkeit Aktiver Sterbehilfe Gebrauch machen könnte.
    Die Bemerkungen zu strafrechtlichem Lebensschutz und zu Menschenrechten finden wir wenig überzeugend. Den Schluss, dass das Recht auf Sterben letztlich das Verbot der Genitalverstümmelung aufhebt, können wir gar nicht nachvollziehen.
    Wären wir die Richter, die diese Causa an Hand der beiden Plädoyers zu entscheiden hätten. Völlig unabhängig von persönlicher Meinung, das Urteile müßte lauten: PRO

  3. Richard Mayr

    Lieber Herr Schöpf,
    mit großem Interesse und voller Zustimmung las ich gestern Ihren Beitrag im Standard betreffend die Diskussion über die Sterbehilfe. Ich kann jedes Wort darin unterstreichen. Gestatten Sie mir ein paar persönliche Bemerkungen: Wenn „die Kirche“ argumentiert, dass das Leben in Gottes Hand läge und nur er uns Menschen „zu sich“ holen darf, dann finde ich es aus dieser Anschauung unlogisch, dass künstliche Befruchtung erlaubt ist. Denn Gott entscheidet ja in diesem Fall, dass das betreffende Paar kein Kind haben soll, er aber durch die Invitro Fertilisation ausgetricks wird. Ein anderer Punkt ist, dass immer nur von schwerstkranken Patienten gesprochen wird. Ich für meinen Teil (76 Jahre alt) fände es unerträglich, wenn mein Leben, das ich derzeit führe, sehr beeinträchtigt wäre, ohne dass ich schon ein Palliativpatient bin. Bergwandern , Englischkenntnisse vertiefen, einige ausländischen Schülern in AHS oder BHS in Deutsch unterstützen, mein seinerzeit abgebrochenes Wirtschaftsstudium durch Fachliteratur „nachholen“ und letztendlich dem Verfasser der Apropos–Kolumne am Samstag ab und zu zu widersprechen.
    Deshalb kann ich mir vorstellen, dass ich in diesem Fall, auch wenn ich dann noch Witwer wäre, alles versuchen will, um diesem dann sinnlosen Dasein ein Ende zu setzen.
    Aber es wäre schon ein Fortschritt, wenn die Höchstrichter die Sterbehilfe bei Kranken erlaubten.
    In diesem Zusammenhang eine Umdichtung von mir, zumal Hohenems am kommenden Wochenende (mit Schuberts „Der Tod und das Mädchen“) abgesagt wurde:

    Der Tod und der Greis

    Herüber, ach herüber, komm lieber Knochenmann
    Ich bin schon alt, komm Lieber
    Und rühre mich fest an.

    Gib deine Hand, du alt und krank Gebild
    Bin Freund und werde dich erlösen
    Bin sehr sanft und mach es lind
    Wirst still hinüber dösen

  4. Klaus Wendling

    Danke an Herrn Schöpf für seine Beiträge und ein großes Dankeschön an Wolfgang Obermüller und allen Menschen, die sich dafür einsetzen, dass jeder Mensch selbst entscheiden kann, wann und wo er bzw. sie sterben darf.

  5. Johann Peer

    Die ultrakatholischen Einflüsterer von Bundeskanzler Kurz, von denen einige angeblich Opus Dei-Mitglieder sind, werden die von der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes in Hinblick auf eine Liberalisierung empfohlene Reform des § 78 StGB wohl ebenso zu verhindern wissen, wie ein diesbezügliches Erkenntnis des VerfGH. Das grundsätzliche Recht auf Menschenwürde, das ein Sterben in Würde einschließt, zählt in Österreich nicht viel. Ich erinnere mich noch gut an den Ausspruch des ehemaligen Justizministers Brandstädter, der auf eine diesbezügliche Frage schlicht und ehrlich geantwortet hat: „Ich will das nicht“. Was die Betroffenen wollen, ist unwesentlich. Deshalb meine Bitte: Bleiben Sie am Thema dran, ein selbstbestimmtes Leben und Sterben gehört zu den Grundrechten, die uns Österreichern wohl erst der EUGH zugestehen wird.

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