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Alois Schöpf
Tirols Tourismus - ein Multiorganversagen
Essay

1. Teil
Ouvertüre

Tirol wird seit einem Jahr gewatscht, dass es nur so eine Freude ist. Es begann schon damit, dass halb Europa über einen Bericht lachte, in dem der Eingang eines Nobelhotels in Innsbruck gezeigt wurde, aus dem just zu dem Zeitpunkt eine Person an der Polizei vorbei spazierte, zu dem der Kommentator berichtete, der Gebäudekomplex sei aufgrund von zwei Corona-Infektionen unter Quarantäne gestellt worden. Die mediale Katastrophe setzte sich durch den Mega-Cluster in Ischgl, die überstürzte Abreise der Touristen von dort und eine europaweite Verbreitung des Virus von Tirol aus fort. Gekrönt wurde die negative Imagekampagne durch ein Interview des ORF-Chefinquisitors Armin Wolf mit dem für Gesundheitsangelegenheiten zuständigen Tiroler Landesrat Bernhard Tilg, der, in Sachen Medien offenbar vollkommen überfordert, durch seinen Satz „Wir haben alles richtig gemacht!“ juristisch gegenüber Klagsandrohungen zu mauern versuchte, damit jedoch höhnisches Gelächter auslöste.

Nach einigen Monaten der Ruhe, in denen Tirol sogar zum Musterschüler in Sachen Covid19-Bekämpfung aufstieg, tauchte im Zillertal sodann die sogenannte Südafrika-Variante des Virus auf – begleitet von Gerüchten, wonach sich begüterte Hoteliers ihren von der österreichischen Bundesregierung verordneten Zwangsurlaub mit staatlichem Umsatz-Ersatz finanziert hätten und von dieser Reise infiziert zurückgekehrt seien. Zumindest Letzteres scheint nicht den Tatsachen zu entsprechen. Ersteres jedoch, die heftige Reisetätigkeit von Touristikern, vorzugsweise nach Dubai, dürfte schon eher der Wirklichkeit entsprechen und war auf jeden Fall nicht dazu geeignet, bei der zur Quarantäne verdammten Bevölkerung besondere Sympathien der Branche gegenüber zu entwickeln. Ergänzt wurde die Gerüchteküche durch die medial verkürzten, deswegen aber immer noch unverantwortlich einfältigen Statements prominenter Provinzpolitiker in Richtung des Erbfeindes Wien, aber auch durch die beinharte Retourkutsche der bayerischen Regierung, als Gegenleistung für die Blockabfertigung auf der Autobahn nunmehr das deutsche Staatsgebiet für Tiroler aufgrund der angeblich so gefährlichen und die europäischen Impfpläne möglicherweise unterlaufende Südafrika-Variante zu schließen.

Erstaunlich an dieser Serie von Missgeschicken ist die Tatsache, dass abgesehen von den Politikern, die dafür bezahlt werden und somit auch um ihre weitere gedeihliche Zukunft kämpfen, dem gedemütigten und gebeutelten Land kein einziger sogenannter Intellektueller, Meinungsführer oder Künstler beisprang. Unwidersprochen konnten die Tiroler europaweit als eine Bande geldgieriger und der deutschen Sprache kaum mächtiger Ignoranten abqualifiziert werden. Für mich kann ich zumindest in Anspruch nehmen, in meinem „Kommentar der Anderen“ in der Tageszeitung „Der Standard“ darauf hingewiesen zu haben, dass hierzulande neben einer großen Universität auch viele innovative Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, Schriftsteller, aber auch Unternehmer und selbst Touristiker leben und arbeiten, die sich die scharfe und flächendeckende Kritik an Tirol nicht verdient haben. Viele meiner Kollegen wie der Schriftsteller und Verleger Bernd Schuchter oder der Schriftsteller Hans Platzgumer gingen da weniger zimperlich vor und perpetuierten das Bild eines Landes, das Felix Mitterer mit seiner „Piefke-Saga“ aus heutiger Sicht geradezu liebevoll und freundlich dargestellt hat. Denn als in dieser Art liebevolle Darstellung können weder die Fotobände eines Lois Hechenblaikner bezeichnet werden, die fast ausschließlich von saufenden und Orgien feiernden Touristen und ihren sich zu allem und jedem hergebenden Zulieferern berichten. Noch erhöhte den Ruf des Landes jene österreichweit kolportierte Facebook-Meldung, in der sich ein wütender Oberlandler vollkommen zu Recht bei seinen oberlandlerischen Landsleuten, die im Bus mundschutzfrei zur Anti-Corona Demonstration nach Wien gefahren waren und damit einen Cluster ausgelöst hatten, ausdrücklich bedankte und sie als „Volltrottel“ bezeichnete.

Nur ein die Sinneswahrnehmung trübendes Selbstmitleid kann da noch zur Ansicht gelangen, dass dieses Tirol-Bashing wie ein Unwetter gleichsam aus heiterem Himmel über uns hereingebrochen sei. Anzeichen für die vollkommene Zerrüttung im Verhältnis von Tourismus und Bevölkerung bzw. aus dieser Bevölkerung heraus sprechenden und agierenden Meinungsführern, Journalisten, Intellektuellen, Künstlern und Umweltbewegten sind nämlich schon länger unübersehbar.

Der Tourismus lebt eben nicht von sich selbst, seinen Hotels, Wellnessanlagen, Sportplätzen, Schulden und freundlichen Wirtinnen und Wirten allein, sondern er lebt von einer Naturlandschaft, die ihm nicht gehört, von einer Kulturlandschaft, die ihm ebenso wenig gehört und die nicht er, sondern Bauernschaft, Forstwirtschaft, Alpenverein und Naturfreunde pflegen. Er lebt von Kunstdenkmälern, Fußgängerzonen, Geschäftspassagen und Kulturangeboten. Dies alles benützt er zu seinem Fortkommen, obgleich es ihm nicht gehört, und er lebt zuletzt auch von all jenen freundlichen oder unfreundlichen, ihn der Gier verdächtigenden oder ihn ob seiner innovatorischen technischen Leistungen besonders im Bereich der Infrastruktur bewundernden und dankbaren Landsleuten. Und er ist, obwohl man derzeit glaubt, darauf verzichten zu können, auch darauf angewiesen, was der intellektuelle, in den Medien beschäftigte und die Verhältnisse kritisch analysierende Teil dieser Landsleute über ihn denkt oder über ihn nicht denkt.

Um zwischen all diesen Gruppen mit ihren je eigenen Interessen, aus deren gedeihlichem Zusammenspiel sich erst ein erfolgreicher Tourismus entwickeln kann und sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in einer schier unglaublichen, kollektiven Bejahung des Wirtschaftszweiges entwickelt hat, ein gutes Verhältnis herzustellen, ist naturgemäß zuerst die Politik gefordert. Ihr ist es noch in der Zeit der k.u.k. Monarchie und noch vor 1900 gelungen, durch ein weltweit erstes Fremdenverkehrsgesetz und die darin ausformulierte Erkenntnis, dass am Fremdenverkehr, wenn er erfolgreich sein will, alle beteiligt sein müssen, dementsprechend alle ihre Beiträge zu leisten haben und dementsprechend alle zuletzt auch davon profitieren sollten, das heikle Verhältnis zwischen Bevölkerung und Tourismus in geordnete Bahnen zu lenken.

Eine besonderer Auftrag erging dabei an jene Institution, die heute als „Tirol Werbung“ nicht nur dafür zuständig ist, die touristischen Angebote des Landes nach außen hin zu vermarkten, sondern auch dafür zu sorgen hätte, den notwendigen Zusammenhalt der Bevölkerung im Hinblick auf den Tourismus und die Anbindung des Tourismus an Natur, Kultur, bauliches Erbe und kulturelle Aktivitäten im Sinne eines produktiven Gebens und Nehmens intakt zu halten. Gerade was diese Aufgabe betrifft, ist ein vollständiges, offenbar im Einverständnis mit der Politik durchaus erwünschtes Versagen zu diagnostizieren, was sich unter anderem auch am Niedergang der Tourismuszeitschrift „Saison“, die ich über Jahre hinweg maßgeblich mitgestalten konnte und daher von innen heraus kenne, paradigmatisch nachvollziehen lässt.

Bevor ich mich jedoch der Abstiegsgeschichte dieses zu Beginn innovativen Projektes hin zu einem Endlager uninteressanter Statements ihre Claims absichernder Funktionäre zuwende, soll, um die Dramatik der Situation im Detail zu verdeutlichen, auf drei besonders neuralgische Problemfälle in der Beziehung zwischen Tourismus und Bevölkerung eingegangen werden. Dabei geht es um den Bau eines Hotels bzw. Hotel-Ressorts am Naturjuwel „Obernberger See“, um den Zusammenschluss zwischen Ötztal und Pitztal zur Erweiterung der jeweiligen Skigebiete und um die Aktivitäten von sogenannten NGOs im Rahmen von Kraftwerksplänen in Osttirol und Liftzusammenschluss-Plänen im Ötztal: Letzteres kulminierte bekanntlich in einer feministisch aufgeladenen Auseinandersetzung zwischen dem stellvertretenden Landeshauptmann und einer diesen professionell provozierenden WWF- Aktivistin, was, filmisch dokumentiert, wieder einmal die Rückständigkeit des Tiroler Machos und die moralische Überlegenheit der von der Naturbewahrung religiös Entflammten unter Beweis stellte.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hannes Parth

    Lieber Alois,
    ich habe mich gefreut, von Dir zu hören. Vielem in deinem Artikel stimme ich zu, nicht jedoch z.B. diesem Satz:
    „Der Tourismus lebt eben nicht von sich selbst, seinen Hotels, Wellnessanlagen, Sportplätzen, Schulden und freundlichen Wirtinnen und Wirten allein, sondern er lebt von einer Naturlandschaft, die ihm nicht gehört, von einer Kulturlandschaft, die ihm ebenso wenig gehört und die nicht er, sondern Bauernschaft, Forstwirtschaft, Alpenverein und Naturfreunde pflegen.“

    Ich darf für mich (und für viele meiner Kollegen aus der Seilbahnbranche, aber auch in den Tourismusverbänden) in Anspruch nehmen, in meiner Heimat eine ganze Menge Projekte initiiert zu haben, um Natur- und Kulturlandschaften zu schützen oder unserer Nachwelt zu erhalten.
    So etwa die Unterstützung der Landwirtschaft in vielen Bereichen, die Erhaltung von Almen und Heupillen, die sonst unwiederbringlich verfallen wären, die Instandsetzung von alten Gebäuden, die Errichtung eines Museums, die Schaffung und Erhaltung von Wanderwegen, die Sanierung von Kapellen und der Kirche, die Unterstützung der Vereine etc. etc. Und es tut mir weh, zu sehen, dass ich leider nicht alles zu Ende bringen konnte, was ich mir diesbezüglich vorgenommen hatte.

    Das alles mit im Tourismus verdienten Geld! Leider habe ich dort von den von Dir erwähnten Stellen wie dem Alpenverein oder auch der Bauern oft nur wenig bis gar keine Unterstützung erfahren. Wir scheinen es aber verabsäumt zu haben, unsere diesbezüglichen Leistungen ins rechte Licht zu rücken und entsprechend zu vermarkten.

    Was die „moralische Überlegenheit der von der Naturbewahrung religiös Entflammten“ betrifft, so werde ich mir das Buch „Die Selbstgerechten“ von Sarah Wagenknecht besorgen. Sie scheint da den selbsternannten Weltverbesserern, die allesamt aus begüterten Häusern stammen, den Spiegel vorzuhalten. Und wenn ich gerade bei Büchern bin. Ich habe soeben das Buch „Factfullness“ von Hans Roslund gelesen, nach dem die Welt sich nicht ganz so schrecklich entwickelt, wie uns das die Medien glaubhaft machen wollen. Sehr lesenswert!

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