Print Friendly, PDF & Email

Alois Schöpf
Zu satt, zu ignorant und zu selbstbezogen
Fortsetzung:
5. Von Impresarios und Producern
Essay

Bei Analysen, deren kritischer Teil auf die Zustimmung der Leser trifft, büßt der Autor nicht selten seine Autorität ein, wenn es um Verbesserungsvorschläge für die Zukunft geht. Eine Mischung aus Utopismus, Realitätsferne und Trivialität sind gefährliche Fallen. An die Frage, was zu unternehmen sei, um das Musiktheater und Theater für die Gegenwart zu retten, indem, ergänzend zur Pflege des traditionellen musikalischen und dramatischen Kanons, wieder für ein breites Publikum Themen der Gegenwart auf den Bühnen Platz finden, erfolgt eine Annäherung daher am besten dadurch, dass auf erfolgreich operierende Bereiche der künstlerischen Tätigkeit verwiesen wird, in denen der Kontakt zwischen Publikum und Kunst unbeeinflusst von Bürokratismen und hemmenden Zwischeninstanzen in größtmöglicher Freiheit möglich ist.

Dies trifft zweifelsfrei auf die Architektur zu, die, allein wenn ich an das kleine Dorf in der Nähe von Innsbruck denke, in dem ich lebe, neben viel Mittelmaß und Kitsch inzwischen immer öfter perfekte, wenn nicht herausragende Leistungen der Baukunst aufweist. Hier spielt immer noch, um das für viele inzwischen fast schon unerträgliche Wort zu bemühen, der „Freie Markt“ all jene Vorzüge aus, die Friedrich August Hayek in seinem Werk „Verfassung der Freiheit“ zu betonen nicht müde wird. Die elementare Sehnsucht der Menschen, in und mit ihrem Heim nach Schönheit zu streben, bedingt ein Suchen, das aufgrund der schieren Menge an Beteiligten interessantere und kreativere Lösungen erbringt als jede Antwort, die planwirtschaftlich von wenigen, noch so intelligenten Bürokraten gegeben bzw. verordnet werden könnte. In der Architektur sind es, zumindest im privaten Hausbau, lediglich die von den Kommunen vorgegebenen Rahmenbedingungen, welche die Freiheit einschränken. Abgesehen davon liegt es am Bauherrn, sich aus einer Vielzahl von Anbietern den ihm gemäßen auszuwählen und zu beauftragen. Der Kontakt zwischen „Publikum“ und Kreativen ist also durch keine hindernde Instanz unterbrochen. Die Erfolge sind entsprechend. Die moderne Architektur überzeugt sichtbar, auch durch neue Wahrzeichen, wie sie etwa die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck durch die Bauwerke von Zaha Hadid aufzuweisen hat.

Ein weiterer Bereich, der in großer Liberalität einen direkten Kontakt zwischen Publikum und Künstler ermöglicht, sind die bildenden Künste, die dort, wo sie erfolgreich sein und in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen, allerdings auf Zwischeninstanzen wie Galerien, Kunstmessen, Kuratoren und Museen angewiesen sind. Schon allein aufgrund dieser Rahmenbedingungen sind denn auch am Kunstmarkt korrupte Netzwerke durchaus üblich. Sie betreffen nicht nur gegenseitige Einkäufe, deren Funktion darin besteht, die Preise in fiktive Höhen zu treiben, sie beziehen sich auch auf innige Freundschaftsbeziehungen zur Kunstkritik, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, durch oftmals geradezu groteskes Geschwätz (wie etwa im Katalog „Das Begleitbuch/The Guidebook-Documenta 13“) die Zukunft der künstlerischen Entwicklung nach ihrem Willen festzuschreiben. Dennoch: Durch den in vielen Fällen noch funktionierenden, direkten Kontakt mit ihrem Publikum können zahlreiche Maler und Bildhauer der unterschiedlichsten Stilrichtungen von Ankäufen und Aufträgen gut leben.

Die Einflussnahme auf das kreative Schaffen von Autoren wiederum ist in der Literatur durch die Instanzen des Verlags, des Lektorats, der Medien, der Universitäten, der Literaturhäuser, der Büchereien, des subventionierenden Staates, von Archiven und durch den Buchhandel übermächtig. Allein ein nostalgischer Blick zurück in die Vergangenheit auf die Produktionen etwa des ab den 1970er Jahren massiv geförderten Salzburger Residenzverlages, der als offiziöses Aushängeschild des damaligen literarischen Schaffens fungierte, zeigt, in welche Schräglage des irrelevanten Unsinns eine Produktion geraten kann, wenn sie germanistische und philosophische Vorgaben zu erfüllen hat, und in Folge, ganz im Sinne einer gewünschten harmlosen österreichischen Identitätsbildung der Nachkriegszeit und ganz im Sinne einer durch Kultur die Angst vor dem Kommunismus eliminierenden sozialdemokratischen Kulturpolitik, nur noch sprachzweiflerisches Wortgeklingel übrigbleibt. Zahlreiche damals gefeierte Geister wandeln bis heute als Untote durch ein bereits zu Lebzeiten zum Vorlass-Archiv erstarrtes Geistesleben auf ihre ewiges Vergessen-werden zu.

Wen wundert es, dass angesichts solch mächtiger Hürden, denen nicht einmal die robusteste Kreativität gewachsen ist, sofern sie nicht, wie bereits geschildert, von übermächtigen Regisseuren wie im Falle Thomas Bernhards unter Schutz gestellt wird, in der Oper und im Theater, an denen die kreativitätsvernichtenden Instanzen von der Politik des Gesamtstaates, der Länder und Gemeinden, über die Beamtenschaft, über Theatergremien, über Intendanten, Geschäftsführer, Dramaturgen, Gewerkschaften, Regisseure, Dirigenten, Bühnenbildner, Maskenbildner und zuletzt über Schauspieler und Sänger übermächtig sind, die Selbstmusealisierung und ein narzisstisches Regietheater ein deprimierendes Ausmaß erreicht haben und das Publikum in unverantwortlicher Weise dabei verloren wurde. Der Weg in die Zukunft kann also vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen nur darin bestehen, dass zwischen den Kreativen, den Komponisten und Autoren, möglichst viele institutionelle Instanzen, deren Ziel es ist, sich die Rahmenbedingungen nach eigenen Interessen und Karriereplänen zu gestalten, abgebaut werden.

Die Schaltstellen einer solchen Reform können unter der Voraussetzung, dass die Aufrechterhaltung von Oper und Theater durch staatliche Zuschüsse im Gegensatz etwa zu den Verhältnissen in den USA als für das europäische bzw. österreichische Kulturverständnis verpflichtend und sinnvoll erachtet wird, zuletzt nur Kulturpolitiker und jene Intendanten sein, die von diesen Politikern berufen werden. Womit wir im Zentrum der heutigen Malaise angelangt wären, der Tatsache nämlich, dass die Kultur, entsprechend der Entwicklung hin zu ihrer Bedeutungslosigkeit und der Gleichgültigkeit der Bevölkerung, wenn es den Künstlern schlecht geht, meist von Politikern verantwortet wird, die entweder in ihrer Rolle als Quotenfrauen oder anderweitig parteipolitisch zu bedienende Unumgänglichkeiten den Kulturkuchen zugeschoben bekommen oder die, falls derart beschäftigungsbedürftige Damen und Herren nicht versorgt werden müssen, das Kulturressort als Nebenressort zusätzlich etwa zu Wohnbau, Verkehr oder Arbeitsmarktpolitik aufgehalst bekommen.

Ausgerechnet in der Kulturpolitik, die im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen aufgrund ihrer im Sinne der Tagespolitik schwachen Sachzwänge viel Gestaltungsfreiraum böte, agieren also Leute, die glauben, dass sie etwas von Kulturmanagement verstehen, weil sie schon einmal eine Oper besucht haben und darüber hinaus lesen und schreiben können. Diese gravierende Fehleinschätzung führt dazu, dass die Berufung von wichtigen Leitungspositionen in der Kultur aufgrund von mangelnder Kompetenz auf oberflächlichen lediglich marketingtauglichen Qualifikationen aufbaut: Auf klingenden Namen, die sich von künstlerischen Leistungen als Regisseure, Sänger, Dirigenten oder Schauspieler herleiten, am Markt der Aufmerksamkeit reüssieren konnten und mit dem Job eines Intendanten in der Regel fast nichts zu tun haben. Und auf einem moralischen Mehrwert, der durch eine Berufung denjenigen oder diejenige als edle Seele erscheinen lässt, der oder die für die Berufung zuständig ist. Etwa durch die Zusicherung des zu Berufenden, in seiner Zeit dafür zu sorgen, dass die endgültige und noch immer nicht vollendete Exorzierung nationalsozialistischer, rassistischer, patriarchalischer, antifeministischer und antiökologischer Denkverschmutzungen des zu belehrenden Publikums weiter vorangetrieben, wenn nicht vollendet werden soll.

Gedenken wir an dieser Stelle jenes Bartolomeo Merelli, der als Direktor der Mailänder Scala Verdi in das Provinznest Bussetto nachreiste, um ihn zu überreden, die Musik zum Libretto von „Nabucco“ zu komponieren. Sollte uns jemals ein Impresario wie er als Vorbild dienen, wird rasch deutlich, dass die beiden oben genannten Eigenschaften, die heute in vielen Fällen zur Berufung an die Spitze öffentlicher Theater führen, mit jenen Eigenschaften, über die ein erfolgreicher und engagierter Intendant in Zukunft zu verfügen hätte, sehr wenig zu tun haben.

Was die Prominenz des Namens betrifft, so sollte diese nicht auf den Intendanten eines Hauses zutreffen, sondern vielmehr auf die Komponisten und Autoren, die an diesem Haus arbeiten. Nicht durch seine Inszenierungen als Regisseur, nicht durch seine Leistungen als Sänger oder Dirigent qualifiziert sich ein Intendant, sondern durch die Fähigkeit, im Stillen und unerkannt, als Nichtprominenter, fähige Menschen zu erkennen, sie zu fördern, sie zu engagieren und daraus Opern-und Theateraufführungen und hier vor allem Uraufführungen zu entwickeln, die, wie dargelegt, aufgrund ihrer Relevanz für die Gegenwart gesellschaftliche Debatten anstoßen oder befördern. Und die vor allem das entscheidende Problem der Zukunft im Fokus haben, in der Musik und in der Dramatik eine neue Schönheit zu entwickeln, die, abseits jeden Kitsches, das Publikum nicht als ein belehrtes, sondern als ein beglücktes und von der Magie des Abends und des Festes erfülltes in den Alltag entlässt. Dass die öffentliche Moral – derzeit das wie eine Diktatur über unseren Gesellschaften lastende Gutmenschentum des linksliberalen Spießers – dem konträr entgegensteht und längst an den Theatern zu einer Erstarrung in akademistischen Leerläufen geführt hat, dürfte zumindest für jene, die sich einen kritischen Blick auf die Szene erlauben, überdeutlich sein. Die Wahl eines Intendanten nach Maßgabe seines moralischen Mehrwerts im Sinne des Distinktionsgewinns für den berufenden Politiker ist also genau das Gegenteil dessen, was ein Impresario und, in eine aktuellere Bezeichnung übersetzt, ein Producer an Qualifikationen zu bieten haben sollte.

Impresarios (italienisch impresario, von impresa „Unternehmen“) und Producer zeichnen sich dadurch aus, dass sie eigenverantwortlich und unabhängig Projekte entwickeln und sich für diese, mit Gespür für den Erfolg bei einem breiten Publikum, – um es zu wiederholen – die geeigneten Kreativen suchen, hinter deren Erfolgen sie zu verschwinden haben. Erfolg und Misserfolg ihrer Projekte sollten sich dabei, basierend auf rechtlich klar abgegrenzten Unternehmensstrukturen etwa in Form einer GmbH, durchaus in einer finanziellen Beteiligung sowohl am Risiko der Investition als auch an den zu erzielenden Gewinnen widerspiegeln. Denn Erfolg und Misserfolg neuer Inszenierungen, neuer Opern und neuer Theaterstücke sollten sich in Zukunft nicht nur aus dem Kartenverkauf ergeben, der ohnehin nur einen erschreckend geringen Anteil am Gesamtbudget von Theatern ausmacht, sondern mehr noch aus der Möglichkeit, neu entwickelte Stoffe und ihre Inszenierungen, durchaus vergleichbar der Entwicklung von Musicals, weltweit zu vermarkten und insbesondere durch den Verkauf von Rechten für Übertragungen im Fernsehen, durch Verfilmungen oder Aufzeichnungen auf DVD, CD-Produktionen und anderen Medien zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften. In diesem Sinne haben sich Theater in Zukunft als eigene Unternehmen über das Aufführen von Stücken hinaus auch als Verlage, Stoff-Entwickler und Rechtevermarkter kreativwirtschaftlich zu definieren. Das Ziel von Inszenierungen und Uraufführungen sind nicht mehr gute Besprechungen in einer als irrelevante Hochkulturblase agierenden Kulturberichterstattung, sondern der vor allem künstlerische, langfristig aber auch finanzielle Unternehmensgewinn für das Theater und hier vor allem seine Autoren, Komponisten und Intendanten, sprich: Impresarios und Producer.

Verpflichtend sollte in Zukunft dabei als Auftrag der Politik für die Zuschüsse aus öffentlichen Haushalten sein, dass zumindest für die Hälfte aller Bühnenwerke lebende Komponisten und Autoren verantwortlich zeichnen, und zwar nicht für die im Hause vorhandenen Klein- und Kleinstbühnen, sondern für die Hauptbühne. Der Auslastungsbetrug der Schließtage ist in harter Abgrenzung zu gewerkschaftlichen Mächten zu beenden und in Kooperation mit außenstehenden Kultureinrichtungen die Bühne zu öffnen, sowohl für freie Theater- und Opernproduktionen, als auch für Kabarett, Konzerte oder Filmvorführungen. Die Schließtage sollten in Zukunft genützt werden, neuen Publikumsschichten die Schwellenangst hin zum klassischen Theater, vor allem dem Theater und der Oper der Gegenwart, zu nehmen.

Der vorgeschlagene Weg, die Intendanten von heute durch Impresarios und Producers von morgen zu ersetzen, ist lediglich eines von vielen möglichen Denkmodellen, die dramatischen Künste und das Konzertleben vor der endgültigen Versteinerung und Überalterung des Publikums zu bewahren. Hintergrund des Versuchs ist dabei der unverbrüchliche Glaube, dass die großen Werke der Literatur und Musik nicht nur aus Gründen unserer kulturellen Identität, sondern vor allem aus Gründen ihrer inneren künstlerischen Qualität und damit ihrer Fähigkeit, ästhetische Maßstäbe zu setzen, niemals in Vergessenheit geraten dürfen. Und es ist der Glaube, dass öffentliche Gelder nicht nur die Aufgabe haben, ein klingendes und sprechendes Museum am Leben zu erhalten, sondern neue Stoffe und neue Stücke in größtmöglicher Freiheit auf der Bühne und dem Konzertpodium regionalen Schaffens zu erproben, um sie im besten Falle als überregional gültigen Beitrag in die Welt zu entlassen.

Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn auch im Bereich des Konzertlebens, des Musiktheaters und des Theaters, wie auch immer dies geschehen mag, die Sehnsucht nach Schönheit, wie sie in der Architektur und in der Malerei vielfältig bereits erfüllt wird, nicht weiter als Kitsch diskreditiert, sondern als extrem herausfordernde Aufgabe für Autoren, Komponisten und Regisseure und zugleich als berechtigtes Begehren des Publikums akzeptiert wird. Sollte dies auch nur in Ansätzen gelingen, muss kein Papst mehr die Öffentlichkeit darum bitten, man möge die Künstler nicht sehenden Auges verhungern lassen, und kein Riccardo Muti mehr an die therapeutische Wirkung von Musik erinnern müssen. Eine Brigitte Fassbaender sollte allerdings die Möglichkeit erwägen, dass nicht das Publikum zu satt, zu ignorant und zu selbstbezogen wurde, um die Leistungen der derzeitigen dramatischen Künste zu würdigen, sondern dass die Künstler selbst durch Subventionen zu satt, durch ihre Existenz in abgehobenen geistigen Selbstbefriedigungsblasen zu ignorant und durch die distinktionsgeile Berichterstattung der Kulturmedien zu selbstbezogen wurden. Weshalb sie sich nicht wundern sollten, wenn ihre Anliegen in der Politik gleichsam wie Belästigungen empfunden werden, und ihre Not in Zeiten der Pandemie das sogenannte und ferne Volk, das selbst mit Problemen zu kämpfen hat, gleichgültig lässt.

Friedrich August Hayek
Verfassung der Freiheit, Mohr Siebeck 2005
Documenta (13)
Das Begleitbuch, Katalog 3/3, Hatje Cantz 2012

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Schreibe einen Kommentar