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Alois Schöpf
Das Böse existiert!
4. Teil: Der kritische Bürger und seine schmerzfreie Empathie
Essay

Bereits die kurze Aufzählung dessen, was gezeigt wird und was nicht, ermöglicht also die These, dass zwecks Erhaltung der hochbezahlten Positionen ihres Führungspersonals und der Eigentümer das wichtigste Ziel der Medien, vor allem des Fernsehens, darin besteht, die Zahl der Abonnenten, der verkauften Exemplare bzw. die Einschaltziffern und damit die Werbeeinnahmen zumindest zu halten, wenn nicht zu erhöhen. Dies allerdings hat mit der eigentlichen Aufgabe des Journalismus nur am Rande zu tun. Von der Europäischen Aufklärung hergeleitet bestünde diese nämlich darin und wird als solche auch in den hochtrabenden Formulierungen des Impressums bzw. des Rundfunkgesetzes so festgeschrieben, in verständlicher Sprache die Bürgerinnen und Bürger eines Landes über alle relevanten Geschehnisse der Politik, der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Kultur so zu informieren, dass sie durch eigenen Vernunftgebrauch in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden, was, nach der Formulierung des Nobelpreisträgers für Ökonomie Amartya Sen, nach eingehender Überlegung gut für ihr Leben ist.

Dass dieser biedere Dienst am Fortschritt der Menschheit noch nicht ganz dem Auftrag nach Kundenanbiederung und höheren Umsätzen gewichen ist und somit zumindest am Rande und in den Kolumnen der Chefredakteure an Feiertagen mitbedient werden kann, hängt damit zusammen, dass es zur Selbstdefinition des oftmals sogar akademisch gebildeten Konsumenten als Voyeur gehört, in einer Demokratie kritisch zu sein. Denn nur in seiner Ausformung als ununterbrochen über die Zeitläufte Debattierender, über die Politikerkaste, den Kapitalismus und Neoliberalismus, was immer das sei, Herfallender und als ein stets auf der richtigen Seite der Geschichte Befindlicher erwirbt sich der Bürger das Recht, im Staate mitzubestimmen und ernst genommen zu werden. Dass dieses sein kritisches Potenzial in den allermeisten Fällen lediglich die Funktion eines risikolosen Sahnehäubchens auf dem Haupt einer sich selbst huldigenden Eitelkeit erfüllt, steht dabei ebenso außer Zweifel wie die Tatsache, dass dasselbe kritische Potenzial auch für den Journalisten lediglich die zeitgeistkompatible Veredelung einer Berufstätigkeit ist, die zum überwiegenden Teil darin besteht, am geistigen Strich mit möglichst attraktivem Satzbau um Freier zu werben. Allein die Tatsache, dass der Generaldirektor etwa des ORF wesentlich mehr verdient als der Bundespräsident der Republik Österreich und die Landesdirektoren und Starmoderatoren des ORF-Fernsehens zu den Spitzenverdienern des Landes gehören, ist Beweis genug, dass noch so hitzige Debatten und noch so inquisitorisch angelegte Interviews weniger die Funktion haben, die Dinge zum Besseren zu wenden, als vielmehr die lukrativen Verhältnisse, in denen die Medienelite lebt, unter dem Nebelschaum des Geschwätzes beim Alten und bestehende Netzwerke in Ruhe zu lassen.

Vor diesem Hintergrund wird die Frage also nicht lauten: Haben sich Vater und Sohn Fellner anlässlich des Terroranschlags in Wien durch die Hereinnahme einer Erschießungsszene in ihre Reportage gegen das Ethos des Journalismus versündigt, sodass sie zu Recht vom Österreichischen Presserat getadelt werden? Ja! Sie haben sich zweifelsfrei versündigt, wenn es darum ginge, die wahren Ursachen aufzulisten, die sie zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Ohne Zweifel handelten sie aus Sensationsgier und witterten die obszöne Chance, als medialer Underdog hohe Einschaltziffern zu erzielen und damit den Emanzipationsprozess gegenüber dem de facto monopolistischen ORF voranzutreiben.

Die Frage muss vielmehr lauten: Resultiert die Empörung der Zuseher nicht daraus, als Voyeure massiv in der Ruhe gestört worden zu sein? Und resultiert die Empörung der journalistischen Kollegenschaft nicht daraus, dass sie unfreiwillig und plötzlich durch die Wiedergabe einer grausamen Szene an ihre ursprüngliche und im Alltag konsequent verluderte Aufgabe erinnert wurden, im Dienste der Aufklärung, der Menschheit und der Menschenrechte zu wirken? Journalisten sind begnadete Zyniker, ich sehe schon ihr mitleidiges Lächeln angesichts solch großer Worte.

Dennoch: Sowohl das, was gezeigt wird, als auch das, was nicht gezeigt wird, unterliegt einer diskreten Strategie, welchem Problem in der Welt durch bildgebende Verfahren, um einen Begriff aus der Medizin zu verwenden, Aufmerksamkeit zukommen darf oder eben auch nicht. Bilder und Bildsequenzen erzwingen Empathie und können durch diese Empathie, wie aufgezeigt, sehr rasch zu grundsätzlichen Einstellungsänderungen in einer Gesellschaft führen. Solche Veränderungen sind jedoch, wie ebenfalls im Hinblick auf die Rolle des Konsumenten als Voyeur aufgezeigt wurde, nur bedingt erwünscht. Denn Empathie darf unter den derzeitigen Verhältnissen eines stagnierenden Medienmarktes und eines immer rücksichtsloseren Kampfes ums Überleben nur dort riskiert werden, wo der Konsument als Voyeur durch die Ferne des Problems nicht zu massiv irritiert und zu Veränderungen seiner eigenen Lebenswelt aufgerufen wird.

Andererseits hat Empathie jedoch die Selbstdefinition des Bürgers, kritisch zu sein, immer wieder durch homöopathische Dosen emotional zu unterfüttern. Dies führt konkret dazu, dass etwa Bildsequenzen von elendiglich im Ölschlamm verendenden Vögeln, auch wenn es fallweise um ganz andere Meeresstrände und ganz andere Öltanker-Unfälle geht als die gerade in Rede stehenden, immer wieder gezeigt werden können, zumal in solchen Fällen die Schuld am Skandal internationalen Multis und dem abstrakten Übel des Kapitalismus zugeschrieben werden kann. Ebenso sind, geboren aus letzten Fragmenten kolonialen Übermenschentums, Bilder von verhungernden afrikanischen Kindern und ihren Müttern gerade noch als Werbeträger für die heimische Caritas akzeptabel. Auch hier ist es dem Bürger möglich, lediglich viertelerschüttert sitzen zu bleiben und darüber Klage zu führen, dass man gegen derlei Missstände leider nichts unternehmen könne außer zu spenden. Dies betrifft in Österreich selbst naturgemäß auch den Gipfel heimischer Charity-Heuchelei, die vorweihnachtliche Sendung „Nachbar in Not“, welche Künstler und Politiker mit Freude benützen, um ihren guten Ruf als edle Menschen aufzumöbeln, und die der Medienkonsument als Voyeur ebenfalls freudig begrüßt, um sich in bester Tradition abendländischen Ablasshandels von den Nöten seiner Mitbürger wenn nicht schon freizukaufen, so doch freizusehen.

Zweifelsfrei hat oe24.tv gegen das Dogma der Distanz, die schmerzhaftes Engagement zu verhindern hat, verstoßen, was die darauffolgende Flut von Beschwerden verständlich macht. Die Bildsequenz, die zeigte, wie ein islamistischer Attentäter einen unbeteiligten Passanten in der Wiener Innenstadt erschießt, legte nämlich zu bildmächtig den Finger auf jene schwärende gesellschaftliche Wunde, mit der man sich in unausgesprochenem kollektiven Übereinkommen weiterhin nicht zu beschäftigen gedenkt, weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Bereich, um zwangsweise damit einhergehende geradezu bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen im Sinne des gesellschaftlichen Friedens, vor allem jedoch aus Feigheit und Faulheit zu verhindern. Dabei geht es nicht nur um die Frage, inwieweit der vor einigen Jahren noch den Zeitgeist dominierende Traum von einer multikulturellen Gesellschaft und eine daraus abgeleitete Willkommenskultur als träumerischer Ausfluss links-grüner Weltverbesserungssehnsüchte gescheitert ist bzw. inwieweit infolge einer unkontrollierten Immigration noch große und teure Probleme auf die österreichische Gesellschaft und den österreichischen Steuerzahler warten? Es geht um die noch viel unangenehmere und grundsätzlichere Frage, wie muslimische Gläubige als Bürger oder Gäste Österreichs ihr christlich geprägtes Gastland beurteilen, ob sie seine Sitten und seine Kultur des Umgangs miteinander akzeptieren, ob sie die Absicht haben, sich in diese Traditionen zu integrieren oder ob sie doch eher abgeschottete und feindliche Kulturcluster mit eigener Gesetzgebungzu bilden versuchen?

Zuletzt geht es, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass viele heimische Medien an hohen Feiertagen in Verquickung von Staat und Religion aus der Fehlmeinung heraus, sie müssten gläubigen Bürgern predigen, die Rolle von kirchlichen Verlautbarungsorganen übernehmen, um die Frage, ob der Islam mit seinem verheerenden Blick auf die Ungläubigen tatsächlich eine von theologischen Gesundbetern gepriesene Friedensreligion und nicht vielmehr sui generis eine menschenverachtende und totalitäre Weltanschauung ist, was unweigerlich zur nächsten und letzten entscheidenden Frage führt: Ob dieser totalitäre und menschenverachtende Charakter nicht auch für den durch ein aus der Zeit des Klerikal-Faschismus stammendes Konkordat abgesicherten und durch mächtige Vorfeldorganisationen wie die Caritas in die Gesellschaft implementierten Katholizismus gilt? Ob also das Christentum, das Österreich über Jahrhunderte prägte und das derzeit durch die Säkularisierung zu einer weltanschaulich geduckten Haltung gezwungen ist, nicht nur in seiner Geschichte, sondern auch in der unmittelbaren Gegenwart in vielen relevanten Fragen wie etwa Sexualmoral, Abtreibung, In-vitro-Fertilisation oder Liberalisierung der Sterbehilfe nicht eine ähnliche, zu terroristischen Ausfällen gegenüber den Mitbürgern neigende und durch zahlreiche Lohnschreiberinnen sich als humanistisch gebärdende, in Wahrheit totalitäre Weltanschauung ist?

Von all diesen Fragen will weder der Konsument als Voyeur, Spanner und Gaffer noch die mediale Zunft als Zulieferer abendlicher Scheinaufklärung etwas wissen. Dass Vater und Sohn Fellner diese diskrete Übereinkunft, wenn auch aus unlauteren Motiven, bloßgelegt haben, ist ein Verdienst, weshalb der österreichische Presserat in seiner heuchlerischen moralistischen Selbstüberschätzung gut beraten wäre, den ganzen Akt, um es auf gut altösterreichisch zu sagen, in Vorstoß geraten zu lassen.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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