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Alois Schöpf
Ach wie verführerisch!
Kritik einer Verharmlosung
Essay

Ach wie verführerisch wäre es, jenen unsympathischen Herrn des Robert Koch Instituts in die Wüste zu schicken, der bei Anne Wille in der Talkshow auftrat und uns mitteilte, mit einer raschen Impfung sei nicht zu rechnen und wir würden uns noch daran gewöhnen müssen, mit dem Covid19 Virus länger zu leben. Und wie beglückend ist es, Stellungnahmen von Leuten zu lesen, die uns auf den ersten Blick kompetent und in wohlgeordneten Sätzen versichern, alles laufe doch nur auf eine Art aggressive Grippe hinaus, sämtliche Maßnahmen der offenbar von einer kollektiven Panikattacke erfassten Staatsmänner und ihrer Beraterstäbe seien überzogen und es gehe jetzt darum, endlich zu einem normalen Leben zurückzukehren und lediglich die sogenannten vulnerablen Gruppen zu schützen.

So steht es jedenfalls in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, der mich vor ein paar Tagen über WhatsApp erreichte, und den ich als Labsal für meine wunde Seele empfand, zumindest so lange, bis ich mir die Mühe machte, ihn genauer zu lesen und den Behauptungen der Unterzeichner mit den Grundrechnungsarten, die ich einmal in der Schule gelernt habe, zu Leibe zu rücken. Das Ergebnis meiner Bemühungen lege ich hiermit vor und widme es den Ärzten Dr. Josef Schöpf, meinem Bruder, der mich durch seine Treue zu den Naturwissenschaften schon ein ganzes Leben lang genervt hat, und Dr. Martin Spielberger, der meine Überlegungen aus medizinischer Sicht einer Kontrolle unterzog.


Der Offene Brief an die Kanzlerin vom 12. 10. 2020 (1):

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
wir, die Unterzeichner, sind Ärztinnen und Ärzte aus allen Bereichen des Gesundheitswesens, die über Jahrzehnte Menschen in Praxen und Kliniken betreuen. In dieser Zeit haben wir mehr als ein saisonales Infektionsgeschehen in Deutschland miterlebt, die meisten mit weitaus schwerwiegenderen Erkrankungen und wesentlich mehr Todesfällen als seit Januar 2020 durch die Covid-Infektionserkrankungen.

Wir betreuen zusammen ca. 70.000 Menschen (2).

Die Umstände der Corona-Infektionswelle in der BRD haben wir anders wahrgenommen, als dies der Bevölkerung seit Monaten in dramatisierender Weise durch die Medien und die fortwährenden, von der Sachlage her nicht gerechtfertigten Warnungen der Politik dargestellt wurde. Prognosen einzelner beratender Virologen mit Millionen schwer Erkrankten und hunderttausenden Toten in Deutschland haben sich in keinster Weise bewahrheitet (3).
In den Praxen waren kaum infizierte Patienten(2) und wenn, dann mit normalen, meist milden Verläufen einer Virusgrippe (4). Die Krankenhäuser waren so leer wie noch nie zuvor. Es gab keine Überlastungen von Intensivstationen. Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal wurden in Kurzarbeit geschickt (3).

Auch wir haben anfänglich die auf uns zulaufende Viruswelle als bedrohlich empfunden und konnten Verständnis für die Infektionsschutzmaßnahmen aufbringen. Mittlerweile liegen jedoch über Monate hinweg gesicherte Erkenntnisse und Fakten dafür vor, dass die Viruswelle nur etwas intensiver als eine gewöhnliche saisonale Grippe (4) ist und wesentlich harmloser als zum Beispiel die Influenza-Infektion 2017/2018 mit 27.000 Todesfällen (2) in Deutschland eingestuft werden muss. Entsprechend der Datenlage liegt seit Monaten keine Bedrohung der deutschen Bevölkerung durch Covid19 vor (1).

Dies muss Anlass dafür sein, in Deutschland wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren – ein Leben ohne Einschränkungen, Angst und Infektionshysterie. Wir sehen zunehmend ältere Menschen mit Depressionen, kleine Kinder und Jugendliche mit gravierenden Angst- und Verhaltensstörungen, Menschen mit schweren Erkrankungen, die bei rechtzeitiger Behandlung hätten möglicherweise geheilt werden können (5). Wir bemerken Störungen im zwischenmenschlichen Miteinander, Hysterie und Aggressionen, ausgelöst durch Infektionsangst, es kommt vermehrt zu Verunglimpfungen und Denunziationen von „positiven Abstrichopfern“ – all dies führt zu einer noch nie dagewesenen Spannung und Spaltung der Bevölkerung. Die Entwicklung zusätzlicher schwerer chronischer Krankheiten ist absehbar. Diese Erkrankungen mit ihren schweren Folgen werden voraussichtlich die möglichen Covid19 Schäden der BRD (6) bei weitem übertreffen.

Die Unterzeichner fordern daher die Verantwortlichen im Gesundheitswesen und der Politik auf, ihrer Verantwortung für die Menschen unseres Landes nachzukommen und diese bedrohliche Entwicklung unmittelbar abzuwenden. Wir fordern eine sofortige Aufarbeitung der vorliegenden Daten durch ein unabhängiges Gremium aus Experten aller relevanten Fachgruppen (7) und eine zeitnahe Umsetzung der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Menschen unseres Landes.

Wir fordern ineffektive und möglicherweise sogar schädliche Infektionsschutzmaßnahmen sofort zu beenden und die Sinnhaftigkeit von Massentests (z.ZT. 1, 1 Millionen Tests/Woche, davon 99,3 % negativ, Kosten pro Woche: 82,5 Millionen Euro) ebenfalls durch ein Gremium unabhängiger Experten prüfen zu lassen.

Wir fordern den Schutz von Risikopatienten (8), bei denen jeder Virusinfekt einen dramatischen Verlauf nehmen kann – die gesunde, immunkompetente Bevölkerung benötigt keinen Schutz (8), der über die seit Generationen bekannten und bewährten allgemeinen Maßnahmen zur Hygiene und Gesunderhaltung hinausgeht. Besonders Kinder und Jugendliche benötigen Kontakte mit Viren zur „Formatierung“ ihres Immunsystems. Coronaviren hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. Natürliche Immunität ist die Waffe dagegen (9). Die von der Politik geforderte Mund-Nase-Bedeckung entbehrt hingegen einer soliden wissenschaftlichen Grundlage (10). Wir fordern Politik und ärztliche Standesvertreter auf, die tägliche öffentliche Warn- und Angstmaschinerie in Presse und Talkshows zu unterlassen – dies erzeugt eine tiefe und unbegründete Angst in der Bevölkerung.

Der Bundestag hat gemäß Paragraf 5 IfSG eine „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt: Die Voraussetzungen hierfür liegen ganz offensichtlich nicht mehr vor (1). Wir fordern die Abgeordneten des Bundestages auf, diese Feststellung umgehend aufzuheben und damit die Entscheidung und Verantwortung für diesbezügliche Maßnahmen wieder dorthin zu verlagern, wohin sie gehören: In die Hand des demokratisch legitimierten Parlaments (11).

Wenn es eine unabhängige Freie Presse Deutschland gibt (12), fordern wir diese auf, in alle Richtungen zu recherchieren und auch kritische Stimmen zuzulassen. Eine Meinungsbildung kann nur stattfinden, wenn alle Stimmen wertfrei gehört und Zahlen und Fakten neutral bewertet werden.

Durch täglichen Kontakt mit den uns anvertrauten Menschen und vielen geführten Gesprächen wissen wir als an der Basis der Bevölkerung tätige Ärztinnen und Ärzte, dass das Hygienebewusstsein der Menschen durch die Erfahrung dieser Viruswelle so weit gewachsen ist, dass übliche Hygienemaßnahmen ohne Zwang zukünftig ausreichen (13).

Unterschrift von
42 Personen Ärzte und Ärztinnen


Die Analyse

Ad 1:
Der Brief der Unterzeichneten stammt laut WhatsApp vom 12.10.2020, einem Zeitpunkt also, als die Infektionszahlen zwar in einigen anderen europäischen Ländern, nicht jedoch in Deutschland und in Österreich, bereits exponentiell anstiegen. Die Situation hat sich inzwischen auch in diesen beiden Ländern dramatisch geändert, woraus ersichtlich ist, dass die Unterzeichner die Gefahr des exponentiellen Wachstums vollkommen falsch eingeschätzt haben. Dies gilt zum Glück nicht für die von ihnen adressierte Bundeskanzlerin, die sich, wie die letzten Tage bewiesen haben, offensichtlich anders als gefordert entschied, aber auch nicht für den Deutschen Bundestag, der durch die jüngste Entwicklung ebenso darin bestätigt wurde, wenn er eine „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellte.

Ad 2:
Um bei den Lesern des Briefes den Eindruck von Kompetenz zu erwecken, werden wichtige Zahlen verfälscht. Wovon reden eigentlich die Unterzeichner, wenn sie behaupten, 70.000 Menschen zu betreuen? In welchem Zeitraum tun sie dies? Spielen sie damit auf die Zahl der Krankenscheine in ihren Ordinationen an? Auf die Anzahl der Betten in ihren Spitälern? In welchen Abteilungen? Ungenaue Zahlen liefert der Brief auch in Bezug auf die schwerste Grippewelle seit 30 Jahren aus den Jahren 2017/2018, die angeblich 27.000 Todesopfer gefordert hat. Laut Angabe des Robert Koch Instituts waren es jedoch 25.100. Ist die Feststellung einer solchen Übertreibung kleinlich? Ja! Aber sie ist dennoch symptomatisch!

Denn endgültig unvertretbar wird die Schlamperei, wenn die Unterzeichner behaupten, in ihren Praxen kaum Covid19 Patienten behandelt zu haben. Durch die von allem Anfang an festgestellte hohe Infektiosität von Covid19 wurden nämlich die Erkrankten ausschließlich in spezialisierten, geschützten und von allen anderen Arztpraxen und Ambulanzen ferngehaltenen Stationen behandelt. Dieser Umstand macht es den Unterzeichnern auch unmöglich, vom hohen Stuhl ihrer ärztlichen Autorität herab kompetente Aussagen im Hinblick auf Covid19 zu tätigen. Sie verfügen, wie sie ja selbst einräumen, mangels Patientenkontakts über keinen wesentlich höheren Erkenntnisstand als die von Ihnen angegriffenen Politiker und Medienleute.

Ad 3:
Es ist grotesk, die erfolgreiche Bekämpfung der ersten Welle der Pandemie durch einschneidende Maßnahmen und die Bereitstellung zusätzlicher Intensivbetten durch Verlagerung klinischer Aktivitäten den Verantwortlichen zum Vorwurf zu machen. Durch ihre richtige und zielführende Strategie konnten der exponentielle Anstieg von Infektionszahlen und viele Todesfälle verhindert werden, wobei sicherlich ihren Bemühungen die katastrophalen Zustände, wie sie sich in Oberitalien breit machten, als Negativbeispiel zu Grunde lagen. Hinzugefügt werden muss aber auch, dass die Katastrophe dort immer noch trotz restriktiver Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und nicht ohne solche Maßnahmen erfolgte. Es steht außer Zweifel, dass in letzterem Fall alles noch viel schlimmer verlaufen wäre und die am Anfang zweifelsfrei übertriebenen Angstszenarios zu einem großen Teil Realität geworden wären.

Ad4:
Womit wir bei einem entscheidenden Punkt angelangt sind: dem ewigen Streit darum, ob es sich bei Covid19 um eine Art Grippe oder um etwas anderes handelt. Wie auch immer die neuartige Viruserkrankung benannt und umschrieben wird, der Unterschied zu bisher bekannten Grippeerkrankungen besteht darin:

1. Gegen Grippe kann man sich impfen lassen. Wenn man daran stirbt, ohne geimpft worden zu sein, ist man zum Teil selbst daran schuld. Denn ein tödlicher Verlauf ist trotz Impfung möglich. Gegen Covid19 gibt es jedoch keine Impfung und wird es, diese Möglichkeit muss realistischer Weise eingeräumt werden, im schlimmsten Fall auch nie eine geben bzw. wird sie, wie bei der Grippeimpfung, nur eingeschränkt wirksam sein.

2. Gegen Grippe gibt es inzwischen durch die jahrzehntelange Erfahrung der Populationen mit einschlägigen Viren eine gewisse Grundimmunität. Diese Grundimmunität der Bevölkerung fehlt bei Covid19, wobei aufgrund von Kreuzreaktionen mit anderen Corona-Viren, die etwa Schnupfen hervorrufen, bereits eine gewisse geringe Herdenimmunität entstanden zu sein scheint, die auch erklären könnte, warum die Verläufe der Krankheit sich so stark voneinander unterscheiden. Dieser Unterschied bewirkt jedoch bestenfalls, dass nicht noch viel mehr Patienten in Intensivstationen betreut werden müssen.

3. Gegen Grippe gibt es zahlreiche die Symptome lindernde Medikamente und Therapien, wobei letztere jedoch, im Gegensatz zu Covid19, nicht sehr rasch das gesamte Gesundheitssystem lahmlegen können, da für einen Covid19-Patienten in der Intensivstation unter Einberechnung von krankheitsbedingten Ausfällen, Ruhezeiten und Urlauben jeweils fünf hochqualifizierte Pflegekräfte eingesetzt werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist es lächerlich, in Bezug auf Covid19 von einer Grippe zu sprechen. Covid19 ist eine Krankheit, die bevorzugt die Lunge befällt und bei der etwa ein Prozent der Infizierten nur durch zusätzliche Sauerstoffgaben bzw. durch Intubierung und künstlichen Tiefschlaf gerettet oder vor einem qualvollen Erstickungstod bewahrt werden können. Aus dem Bemühen, die Intensivstationen nicht zu überlasten, ist auch die Strategie der Regierungen zu erklären, so viele Kapazitäten frei zu halten, dass nicht aus Not Entscheidungen getroffen werden müssen, wer nun intensivmedizinisch behandelt wird und wer nicht, ein ethisches Desaster, das inzwischen unter dem Begriff „Triage“ Eingang in die kollektiven Angstszenarios gefunden hat.

Ad5:
Tatsächlich verstarben viele Patienten, wie man heute weiß, speziell in Oberitalien nicht an Covid19, sondern an Krankheiten, die aufgrund der Pandemie in den Spitälern nicht mehr behandelt werden konnten. Auch dies ist ein triftiger und weiterer Grund für die Regierungen, strenge Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zu verordnen, um nicht durch eine Überlastung des Medizinsystems derlei Kollateralschäden zu riskieren.

Ad6:
Die penetrante Verwendung des Begriffs „BRD“ für Deutschland legt den Verdacht nahe, dass die Unterzeichner des offenen Briefes aus der ehemaligen DDR und den damit einschlägig bekannten narzisstisch verletzten Widerspruchsmilieus stammen. Wikipedia äußert sich zu dem Begriff: „BRD ist eine nicht offizielle Abkürzung für die Bundesrepublik Deutschland, die mitunter im wissenschaftlichen und insbesondere politischen Kontext verwendet wird, analog zur Abkürzung „DDR“ während der Epoche von 1949 bis 1990.“

Ad7:
Die Forderung nach „sofortiger Aufarbeitung der vorliegenden Daten durch ein unabhängiges Gremium aus Experten aller relevanten Fachgruppen“ erfolgt ohnehin ununterbrochen, wobei im vorliegenden Fall den Unterzeichnern des Briefes an Frau Dr. Merkel die konkreten von der Regierung beauftragten Experten nicht zu behagen scheinen. Unter Punkt 2 wurde übrigens bereits dargelegt, dass sich die Unterzeichner durch ihre mangelnde Erfahrung mit Covid19 selbst aus solchen Gremien ausgeschlossen haben. Im Umkehrschluss unterstellt der Brief an die Bundeskanzlerin, die Regierungen würden sich wissenschaftliche Hofschranzen engagieren, um die Grundrechte der Bürger einzuschränken, wobei die Unterzeichner die Antwort schuldig bleiben, zu welchem Zweck dies geschehen sollte? Planen die gewählten Herrscher Europas gar, ihre lästigen Völker zu unterdrücken? Oder ist ihnen nicht doch zuzubilligen, dass es ihnen ehrlichen Herzens darum geht, ein massives Gesundheitsproblem zu bewältigen? Erlaubt die inakzeptable Unterstellung diktatorischer Gelüste ohne genauere Begründung nicht vielmehr einen beängstigenden Einblick in die verschwörungstheoretischen Abgründe der Unterzeichner selbst?

Ad8:
Es ist durchaus verständlich, dass die rigiden Maßnahmen, die zur Bekämpfung von Covid19 eingesetzt werden und die vor allem dem Schutz der Älteren dienen, den Jüngeren, die sich zweifelsfrei in ihrer Lebenslust und in ihrer Sehnsucht nach zwischenmenschlichen Erfahrungen eingeschränkt fühlen, nicht nur auf die Nerven gehen, sondern auch zur Bereinigung der misslichen Situation einen Gedanken attraktiv erscheinen lassen, der unter dem hochtrabenden Begriff des „Schutzes der vulnerablen Personen“ darauf abzielt, alle Staatsbürger, die älter sind als 65 Jahre, als potentielle Risikogruppe in die Quarantäne zu schicken. Ganz abgesehen von der Frage, ob eine Durchflutung aller unter 65 Jahren mit Covid19 nicht dennoch aktuelle gesundheitliche Auswirkungen und vor allem dramatische lebenslängliche Nachwirkungen zeitigen würden, widerspricht eine solche Idee dem in der Verfassung festgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz diametral. Und vor allem: Sie funktioniert nicht einmal in Alters- und Pflegeheimen, wo ein Schutz am einfachsten zu organisieren wäre. Wie soll es je möglich sein, die geschäftliche und private Kommunikation zwischen 81 % der Bevölkerung mit den 19 %, die das 65. Lebensjahr überschritten haben, so zu unterbinden, dass ein stark infizierter Teil der Bevölkerung den sogenannten vulnerablen Teil derselben nicht ansteckt? Die Rede vom besonderen Schutz von Risikopatienten ist als daher reines Wunschdenken einzustufen und darüber hinaus, genau durchdacht, in seinem Ansatz diskriminierend, inhuman, der Verfassung widersprechend und daher auch juridisch nicht durchsetzbar.

Ad9.
Die Aussage, wonach die Wirksamkeit von Nase-Mund-Masken nicht wissenschaftlich belegt sei, widerspricht konträr den Ansichten der renommierten österreichischen Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl, die in einem ORF Interview am 27. Oktober davon berichtete, dass mehrere jüngst erschienene Studien eindeutig die Wirksamkeit von Nase-Mund-Masken im Kampf gegen die Pandemie belegen.

Ad10:
In Zeiten exponentiell wachsender Infektionsraten ist es wohl nicht Aufgabe von Parlamenten, lang und breit den Maßnahmenkatalog im Kampf gegen eine Pandemie zu diskutieren, wodurch wertvolle Zeit verloren geht, sondern doch eher Rahmengesetze zu beschließen, die es der Regierung als Exekutive ermöglichen, auf Basis wissenschaftlicher Einschätzungen rasch und effizient zu handeln.

Ad11:
Bei allen selbstkritischen Zweifeln, die man anstellen mag, wenn es um die Frage der Presse- und Meinungsfreiheit geht, möchte ich doch im Namen meines eigenen Berufsstandes als Journalist und im Namen der meisten Kollegen, die ich kenne, festhalten, dass wir uns nach bestem Wissen und Gewissen in Sachen Covid19 zu informieren versuchen, um ein möglichst objektives Urteil den Konsumenten unserer Medien gegenüber präsentieren zu können. Und in diesem Bemühen von niemandem behindert werden. Dies schließt allerdings, wie ich weiß, heftige Diskussionen bei Redaktionskonferenzen nicht aus. Denn auch unter Medienleuten gibt es Verschwörungstheoretiker sonder Zahl!

Diesbezüglich muss im Hinblick auf die Marotte der sogenannten Corona-Verharmloser, sich ununterbrochen in ihrer Meinungsäußerung unterdrückt zu fühlen, kritisch vermerkt werden, dass nicht wenige Medien aus dem in der Einleitung dieses Textes zitierten Sehnsucht, endlich positive Nachrichten überbringen zu können und damit Einschaltziffern zu lukrieren, unter dem Vorwand von Pluralität und Meinungsfreiheit jeden noch so schrägen Querulanten zu Diskussionen einladen. Der österreichische Privatsender Servus TV ist dafür ein exzellentes Beispiel. Dieser Einladungspolitik liegt leider ein gravierendes Missverständnis darüber zugrunde, was wissenschaftliche Erkenntnisse im Gegensatz zur demokratischen Willensbildung sind. Erstere resultieren in der Medizin aus einem klaren, nachvollziehbaren und jederzeit wiederholbaren experimentellen Prozess mit verpflichtendem Doppelblindversuch. Über solche nach naturwissenschaftlichen Methoden erworbene Erkenntnisse Diskussionen zu eröffnen, um dadurch den Effekt zu erzielen, unangenehme Botschaften nicht hören zu müssen, lässt oftmals einen Journalismus, der sich mit Toleranz schmückt, als eine besonders miese Form der geistigen Prostitution dastehen.

Ad12:
Was das Vertrauen auf die üblichen Hygienemaßnahmen der Bevölkerung betrifft, spricht das Dashboard der John Hopkins University eine deutliche Sprache. So müssten Österreich bzw. Deutschland, wenn sie sich an die laxe Vorgangsweise der USA bzw. an die auf die Eigenverantwortung der Bürger aufbauende Vorgangsweise Schwedens verlassen hätten, von den Todesfällen der beiden Länder auf Österreich bzw. Deutschland in Bezug auf die Bevölkerung umgerechnet mit 5.700 statt 1.100 und für Deutschland mit 57.000 im Gegensatz zu derzeit 10.500 Toten rechnen. Bei vollständigem Ausbleiben von Restriktionen, der geforderten Rückkehr zur Nomalität also, ist nicht ausgeschlossen, dass die Todesrate sich noch einmal verdoppeln würde, und dies vor allem dann, wenn durch die Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr allen eine intensivmedizinische Behandlung zugutekommen könnte.

Es ist zu hoffen, dass Frau Dr. Merkel das Konvolut an selbst eingestandener Inkompetenz, frisierten Zahlen und ungerechten Unterstellungen längst beiseitegelegt hat. Weniger Hoffnung besteht allerdings, dass jene, die derlei Briefe über die sozialen Medien erhalten und als Frohbotschaft weiterverteilen, endlich in der Lage sind, von ihrer narzisstischen Selbstüberhöhung, selbst alles besser zu wissen, Abstand zu nehmen und Politiker und Expertenstäbe der Regierungen nicht als Versammlung verblendeter Idioten abzuqualifizieren.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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